VVG § 19
Leitsatz
Eine Pflicht zur Anzeige von durch den VR nicht erfragten Gefahrumständen kommt allenfalls in Betracht bei solchen Gefahrumständen, die so selten und fernliegend sind, dass dem VR nicht vorzuwerfen ist, diese nicht abgefragt zu haben.
OLG Hamm, Beschl. v. 27.2.2015 – 20 U 26/15
1 Aus den Gründen:
" … Das LG hat der Klage … zu Recht stattgegeben und den Fortbestand der von der Kl. bei der Bekl. genommenen Dread-Disease-Versicherung festgestellt."
Der Versicherungsvertrag ist weder durch die mit Schreiben der Bekl. v. 8.4.2013 erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. § 22 VVG, § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB noch durch den zugleich erklärten Rücktritt wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gem. § 19 Abs. 1, Abs. 2 VVG beendet worden.
Das LG hat angenommen, es könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Kl. bei Antragstellung am 27.4.2000 gegenüber dem Versicherungsvermittler und Zeugen H im Rahmen der erfragten Gefahrumstände erklärt habe, sie habe sich vor längerer Zeit im Krankenhaus befunden, weil sie auf dem linken Auge nichts mehr gesehen habe, wobei eine Sehnervenstörung festgestellt und sie als gesund entlassen worden sei. Diese Feststellungen werden von der Berufung nicht angegriffen und sind für den Senat bindend.
Das LG hat auf dieser Grundlage auch zu Recht angenommen, dass die Bekl. bereits den Nachweis einer objektiven Verletzung der Anzeigepflicht durch die Kl. nicht geführt habe. Denn dasjenige, was der Versicherungsvermittler im Zusammenhang mit der Aufnahme des Versicherungsantrags erfährt, ist gem. § 70 S. 1 VVG dem VR zuzurechnen. Der VR muss dabei beweisen, dass alle Fragen im schriftlichen Formular dem ASt. tatsächlich gestellt und so wie niedergelegt von ihm beantwortet worden sind. … Bis zum Beweis des Gegenteils (BGHZ 123, 224) ist dem VR daher zuzurechnen, was dem Vermittler im Gespräch mit dem späteren VN bekannt geworden ist, auch wenn es im schriftlichen, vom Vermittler ausgefüllten Antrag keinen Ausdruck gefunden hat.
Keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat bedarf in diesem Zusammenhang die Frage, ob eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch die Kl. unabhängig vom Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bereits deshalb ausscheidet, weil es entgegen § 19 Abs. 1 S. 1 VVG an einer Fragestellung in Textform fehlt. Allerdings besteht eine Anzeigepflicht nur bei solchen Gefahrumständen, nach denen der VR in Textform (§ 126b BGB) gefragt hat, wobei die Wahrung des Textformerfordernisses voraussetzt, dass die Fragen in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise gestellt wurden (OLG Saarbrücken zfs 2013, 223 … ). Zudem muss dem ASt. das Antragsformular auch in Textform zur Verfügung gestellt werden, da nur so der Dokumentationsfunktion des § 126b BGB hinreichend Rechnung getragen wird. … Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in Textform gefragt worden ist, trifft wiederum gem. § 69 Abs. 3 S. 2 VVG den VR. … Die Kl. hat insoweit unwidersprochen behauptet, bei Aufnahme des Antrags keine Kopie des Antragsformulars erhalten zu haben.
Soweit die Berufung rügt, die Kl. sei verpflichtet gewesen, einen im Jahre 2005 im Zusammenhang mit ihrem stationären Aufenthalt im Universitätsklinikum K wegen der Sehnervenentzündung bestehenden und ihr gegenüber geäußerten Verdacht auf Multiple Sklerose anzugeben, weshalb das LG ein diesbezügliches entscheidungserhebliches Beweisangebot der Bekl. übergangen habe, verhilft dies dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg.
Denn kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kl. den stationären Aufenthalt wegen der Sehnervenstörung angezeigt hat, bedurfte es weitergehender Erklärungen zu einem in diesem Zusammenhang geäußerten Verdacht auf Multiple Sklerose nicht. Insoweit kann die unter Beweis gestellte Behauptung der Bekl., der Kl. sei im Zusammenhang mit dem stationären Aufenthalt der Verdacht auf Multiple Sklerose mitgeteilt worden, als wahr unterstellt werden. Keine der Gefahrfragen der Bekl. erstreckt sich nämlich für sich genommen auf eine solche Verdachtsdiagnose, wohingegen in Ansehung der mit der Frage 18. erfragten Erkrankungszeichen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kl. die Sehnervenentzündung objektiv zutreffend angegeben hat.
Es mag hierbei zutreffen, dass sich der ASt., der durch bagatellisierende oder verharmlosende Angaben den Eindruck erweckt hat, lediglich an einem belanglosen und alsbald vergehenden Missempfinden gelitten zu haben, unter gewissen Umständen auf die objektive Erfüllung der Anzeigepflicht nicht berufen kann (vgl. insoweit nur OLG Saarbrücken VersR 2007, 93). So liegt der Fall hier nicht, wenn die Kl. dem Vermittler sowohl die Diagnose einer Sehnervenentzündung als auch den damit in Zusammenhang stehenden stationären Aufenthalt mitgeteilt hat. Denn den Hinweis auf eine über dieses Krankheitsbild hinausgehende Diagnose enthält auch der Arztbericht v. 25.5.2005 gerade nicht.
Wol...