ZPO § 91 Abs. 2 § 103 ff.; VV RVG Vorbem. 3 Abs. 4 Nr. 2300 3100; RVG § 15a
Leitsatz
Im Rahmen des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs kann der Kl. die volle Erstattung der Verfahrensgebühr auch dann verlangen, wenn er wegen eines eingeklagten materiell-rechtlichen Anspruchs auf Erstattung einer vorprozessualen Geschäftsgebühr zunächst nur Erstattung einer 0,65-Verfahrensgebühr verlangt, auf den materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch jedoch sodann verzichtet hat; dies gilt unabhängig davon, ob der materiell-rechtliche Erstattungsanspruch tatsächlich bestand oder nicht.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.6.2018 – 6 W 49/18
Sachverhalt
Der Kl., der (wohl) ein Fachverband oder eine ähnliche Institution war, zu dessen Aufgaben die Verfolgung der in seinem Gebiet auftretenden Wettbewerbsverstöße gehört, hatte den Bekl. abgemahnt. Hierfür ist seiner Anwältin eine 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG entstanden. In dem nachfolgenden Rechtsstreit vor dem LG Frankfurt/Main hat sich der Kl. durch dieselbe Rechtsanwältin als Prozessbevollmächtigte vertreten lassen, die für ihn bereits vorgerichtlich tätig war. Nach der rechtskräftig gewordenen Kostenentscheidung des LG hat der Bekl. die Kosten zu tragen. Der Kl. hatte ferner gegen den Bekl. einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch wegen der durch die vorgerichtliche Abmahnung entstandenen Geschäftsgebühr gegen den Bekl. geltend gemacht. Im Verlaufe des Verfahrens hat der Kl. ausdrücklich auf den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch verzichtet.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kl. – soweit hier von Interesse – in seinem Antrag vom 26.1.2016 zunächst die um den Anrechnungsbetrag der Geschäftsgebühr verminderte 0,65-Verfahrensgebühr geltend gemacht, die der Rechtspfleger des LG Frankfurt/M. durch Kostenfestsetzungsbeschluss (KFB) vom 2.3.2016 auch zugesprochen hat. Mit seinem weiteren Kostenfestsetzungsantrag vom 19.5.2017 hat der Kl. als "weiteren Anteil" der 1,3-Verfahrensgebühr erneut eine 0,65-Gebühr zur Festsetzung angemeldet. Diesem weiteren Antrag hat der Rechtspfleger durch KFB vom 22.2.2018 entsprochen. Die gegen diesen zweiten KFB gerichtete sofortige Beschwerde des Bekl. hatte beim OLG Frankfurt keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"I. (…) 2. Das gem. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als sofortige Beschwerde statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 567 Abs. 2; 569 Abs. 1 S. 1 u. 2, Abs. 2 ZPO) Rechtsmittel des Bekl. ist in der Sache unbegründet."
a) Für die Prozessbevollmächtigte des Kl. ist im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren u.a. eine Verfahrensgebühr entstanden (Nr. 3100 VV RVG). Bereits zuvor war für die außergerichtliche Vertretung eine 1,3-Geschäftsgebühr entstanden (Nr. 2300 VV RVG). Die Geschäftsgebühr selbst gehört nicht zu den Kosten des Rechtsstreits (BGH zfs 2008, 288 m. Anm. Hansens = RVGreport 2008, 148 [Hansens] = AGS 2008, 158 m. Anm. N. Schneider AGS 2008, 218 u. 475). Sie kann daher nicht auf Grundlage der Kostenentscheidung im Kostenfestsetzungsverfahren beansprucht werden, sondern muss eingeklagt werden. Die Bestimmung des § 15a Abs. 1 RVG regelt die Gebührenforderung des Anwalts gegenüber dem Mandanten im Innenverhältnis, wenn ein Anrechnungstatbestand eingreift. Ein solcher Anrechnungstatbestand ergibt sich im Streitfall aus Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG.
b) Der Bekl. hat nach der rechtskräftigen Kostenentscheidung die erstinstanzlichen Prozesskosten zu tragen. Die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) ist von der kostenpflichtigen Partei grds. voll und ganz zu erstatten. Die alte Rechtsprechung, wonach die Verfahrensgebühr wegen der in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vorgesehenen Anrechnung der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr von vornherein nur in gekürzter Höhe entsteht (vgl. noch a.a.O.), ist nach Inkrafttreten des § 15a RVG am 5.8.2009 aufgegeben worden (BGH GRUR-RR 2011, 392 – Abzug der Geschäftsgebühr IV). Der Berücksichtigung der hälftigen Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr steht im Verhältnis zum Bekl. die Regelung des § 15a Abs. 2 RVG entgegen. Dieser zufolge kann sich ein Dritter – also derjenige, der wie der Bekl. dem Prozessbevollmächtigten des Kl. die Vergütung nicht selbst schuldet – auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
aa) Ein solcher Ausnahmefall ist nicht gegeben. Der Bekl. hat die Geschäftsgebühr nicht bezahlt. Es besteht insoweit auch kein wirksamer Vollstreckungstitel gegen ihn. Der Kl. macht im vorliegenden Verfahren die 1,3-Geschäftsgebühr gegenüber dem Bekl. auch nicht (mehr) geltend. Er hat mit Schriftsatz vom 19.5.2017 den Verzicht auf die Abmahnkosten erklärt und die Klage insoweit zurückgenommen.
bb) Ohne Erfolg beruft sich der Bekl. darauf, die Nichtanrechenbarkeit führe zu einem Wertungswiderspruch zum materiellen Recht. Dem Kl. steht im Streitfall gegen den Bekl. nach der Entscheidung des BGH...