StVG § 3 Abs. 1 S. 1; FeV § 14 Abs. 2 Nr. 2 § 46 Abs. 1 S. 1; Anlage 4 Nrn. 9.3 9.5 u. 9.6.2; Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Nr. 3.14.1; VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
1. Die Abhängigkeit von einem bestimmungsgemäß eingenommenen betäubungsmittelhaltigen Arzneimittel fällt nicht unter Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV, sondern wird von Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV erfasst.
2. Bei der Frage der Wiedererlangung der Fahreignung nach Beendigung einer Medikamentenabhängigkeit, die durch einen bestimmungsgemäßen Gebrauch hervorgerufen wurde, findet deshalb nicht Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV Anwendung, sondern es muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden, welche Anforderungen zu stellen sind.
3. Lag früher ein illegaler Betäubungsmittelkonsum vor, ist im Regelfall nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV mit einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu klären, ob der Betreffende trotz der früheren Abhängigkeit von ärztlich verordneten Betäubungsmitteln ein Kfz sicher führen kann und nicht zu erwarten ist, dass er erneut (illegale) Betäubungsmittel konsumiert.
BayVGH, Beschl. v. 5.7.2019 – 11 CS 19.1210
1 Aus den Gründen:
"… II. [10] Die Beschwerde ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der VGH beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 S. 1 und 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des VGH abzuändern oder aufzuheben. Zwar sind die Erfolgsaussichten im Klageverfahren offen, die Interessenabwägung fällt aber zu Lasten des Antragstellers aus."
[11] Nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG vom 5.3.2003 (BGBl I S. 310), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.12.2018 (BGBl I S. 2251), und § 46 Abs. 1 S. 1 FeV vom 13.12.2010 (BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 3.5.2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kfz erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kfz ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).
[12] Im vorliegenden Fall bestehen Zweifel, ob das Gutachten der P. GmbH nachvollziehbar ist und die Entziehung der Fahrerlaubnis darauf gestützt werden kann, denn es setzt sich nicht damit auseinander, dass nach Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 (Begutachtungsleitlinien, VkBl. S. 110; Stand: 24.5.2018, die nach § 11 Abs. 5 FeV i.V.m. Anlage 4a Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kfz sind) die Vorgaben hinsichtlich Betäubungsmittelabhängigkeit nicht gelten, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 9.10.2017 – 11 CS 17.1483 – juris).
[13] Eine Abhängigkeit, die durch einen bestimmungsgemäßen (Dauer-)Gebrauch von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln entstanden ist, ist unter Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV "Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß bei Dauerbehandlung mit Arzneimitteln" zu subsumieren und wird nicht von Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV erfasst, mit der nur die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, aber nicht von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln geregelt wird. Der Senat geht aber davon aus, dass ein aktuelles Abhängigkeitssyndrom, unabhängig davon, ob es durch psychoaktiv wirkende Medikamente oder illegale Betäubungsmittel entstanden ist, stets zur Fahrungeeignetheit führt. Nach Nr. 3.14.2 der Begutachtungsleitlinien können unter Umständen Auswirkungen auf das sichere Führen von Kfz erwartet werden, wenn Krankheiten und Krankheitssymptome mit höheren Dosen psychoaktiver Arzneimittel behandelt werden. Entscheidend für die Beurteilung ist dabei, ob eine Arzneimitteltherapie, insb. auch die Dauertherapie, zu schweren und für das Führen von Kfz wesentlichen Beeinträchtigungen der psychophysischen Leistungssysteme führt. Medikamentöse Behandlungen, in deren Verlauf erhebliche unerwünschte Wirkungen wie Verlangsamung und Konzentrationsstörungen auftreten, schließen die Eignung in jedem Falle aus. Von Bedeutung sind dabei insb. alle zur Dauerbehandlung eingesetzten Stoffe mit anderen gefährlichen Nebenwirkungen bzw. Intoxikationssymptomen (Begutachtungsleitlinien, S. 80). Im Falle einer Abhängigkeit von betäubungsmittelhaltigen Medikamenten, insb. mit zeitgleichem Entstehen einer Psychose, handelt es sich um eine erhebliche unerwünschte Wirkung der Therapie, die die Eignung ausschließt, und der Antragsteller war daher mindestens bis Ende Juni 2018 fahrungeeignet. Darüber hinaus erscheint es erforderlich, dass der Antragsteller in Zukunft vollständige Abstinenz einhält und weder illegales Can...