1) Das Vorbringen von Parteien in Schriftsätzen wie in einer mündlichen Verhandlung stellt eine einseitige Parteiprozesshandlung dar, die entweder sofort eine neue Prozesslage schafft (Bewirkungshandlung) oder das Gericht zu einer bestimmten Entscheidung bewegen soll (Erwirkungshandlung). Beispiele für Bewirkungshandlungen, die ohne Zutun des Gerichts eine neue Prozesslage herbeiführen, sind die Klagerücknahme nach § 269 ZPO, die Rücknahmen von Einsprüchen gegen ein Versäumnisurteil (§ 346 ZPO), der Berufung (§ 516 ZPO) und der Revision (§ 565 ZPO) sowie das Anerkenntnis (§ 307 ZPO). In all diesen Fällen tritt allein durch die wirksame Vornahme einer Parteiprozesshandlung eine neue Prozesslage ein, dass etwa die Rechtshängigkeit endet, ein Prozesstoff verbindlich begrenzt wird oder bei Einlegung eines Rechtsmittels der Rechtsstreit in eine neue Instanz gelangt.
2) Im Gegensatz dazu kommt den Erwirkungshandlungen keine direkte prozessuale Gestaltungswirkung zu. Bei ihnen richtet die Partei die Prozesshandlung an das Gericht mit dem Ziel eine bestimmte Entscheidung zu erhalten. Darunter fallen Anträge, Behauptungen und Beweisführungen (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 64 Rn 1). Über den Erkenntniswert hinaus, den diese Unterscheidung für das Verständnis der Tätigkeit der Parteien im Rechtsstreit hat, ist die vorwiegende Bedeutung der Unterscheidung allein darin zu sehen, dass sie die Frage der Widerruflichkeit von Prozesshandlungen beantwortet (vgl. BGH NJW 1983, 2699 [2700]; Rosenberg/Schwab/Gottwald a.a.O.). Bewirkungshandlungen sind unwiderruflich, da sie sowohl eine neue zu respektierende Prozesslage geschaffen haben als auch einen Vertrauenstatbestand des Gegners in die vollzogene Gestaltung begründen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., vor § 128 Rn 18). Dagegen befinden sich Erwirkungshandlungen solange im "Versuchsstadium", als die erbetene Entscheidung noch nicht ergangen ist (vgl. Zöller/Greger a.a.O.).
3) Wird eine Erwirkungshandlung, wie eine Behauptung in einem Rechtsstreit, widerrufen, ist das zwar wirksam, kann aber in einem anderen Zusammenhang eine ungünstige "Nebenwirkung" für den Widerrufenden haben. Bei der Beweiswürdigung kann auch der Wechsel des Vorbringens, der Widerruf von Behauptungen als Inhalt der Beweiswürdigung negative Auswirkungen für den Widerrufenden haben. Der bei der Beweiswürdigung auch zu berücksichtigende "Inhalt der Verhandlung" gem. § 286 ZPO umfasst auch Konstellationen wie wechselnden Vortrag und Änderungen des Sachverhaltes (vgl. BGH NJW-RR 1995, 1340 [1341]; BAG NZA 1997, 86). Wird der Wechsel des Vortrags nicht mit einer Gewinnung neuer Informationen begründet, stellt er sich als bloße von der Wahrheitspflicht weit entfernte taktische Maßnahme dar, die die Glaubwürdigkeit des Widerrufenden entscheidend mindern kann.
RiOLG a.D. Heinz Diehl
zfs 10/2019, S. 568 - 569