1. Auswahl des Gerichtsorts
Das von der Staatsanwaltschaft ausgeübte Auswahlermessen zwischen den Gerichtsständen des § 68 Abs. 1 OWiG und des § 42 Abs. 1 JGG ist nur daraufhin überprüfbar, ob es sachfremd oder willkürlich ausgeübt wurde. Aus den Vorschriften der HmbSARS-CoV-EindämmungsVO lässt sich keine Ermessensreduzierung der Staatsanwaltschaft dahingehend ableiten, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren an das Gericht des Aufenthaltsorts der jugendlichen Betroffenen – und nicht an dasjenige des Sitzes der Bußgeldbehörde – abzugeben.
2. Berufsrichter und Schöffen
Die wegen Alters und/oder bestehender Vorerkrankungen begründete Zugehörigkeit zu einer so genannten Risikogruppe kann geeignet sein, die dauernde Verhinderung eines Richters betreffend die Leitung von öffentlichen Hauptverhandlungen während der Corona-Pandemie im Sinne des § 21e Abs. 1 GVG und einen darauf gestützten richterlichen Wechsel im Spruchkörper während des laufenden Geschäftsjahres zu begründen. Einen Schöffen trifft nach § 56 Abs. 1 Satz 1 zweiter Fall GVG die Pflicht, dem Gericht im Falle behaupteter krankheitsbedingter Verhinderung aus Furcht vor einer Infektion diese rechtzeitig anzuzeigen, geeignete ärztliche Unterlagen vorzulegen und für Rückfragen des Gerichts seine (telefonische) Erreichbarkeit sicherzustellen.
3. Verteidiger
Die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers nach § 144 Abs. 1 StPO ("Sicherungsverteidiger") aufgrund der pandemiebedingten Gefahr, anderenfalls das Verfahren nicht zügig durchführen zu können, liegt gerade in Haftsachen nahe. Die bloß potenzielle Gefahr des coronabedingten Ausfalls des Verteidigers soll aber nicht genügen.
4. Einstellung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Ein Verfahren kann bis zum Ende der COVID-19-Pandemie gem. § 205 StPO vorläufig eingestellt werden, wenn der Angeklagte aus Italien einreisen und Quarantänezeiten über sich ergehen lassen müsste. Nach § 412, § 392 Abs. 7 S. 1 i.V.m. § 44 Satz 1 StPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, den Einspruchstermin wahrzunehmen. Das ist der Fall, wenn bis zur Mitteilung des Testergebnisses für den Angeklagten eine Quarantänepflicht bestand.
5. Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls
Nach § 273 Abs. 4 StPO darf das Urteil nicht zugestellt werden, bevor das Hauptverhandlungsprotokoll fertiggestellt ist. Stehen Krankheit oder sonstige Hinderungsgründe in der Person des Urkundsbeamten der Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls durch Unterzeichnung entgegen, so dass es bei einem Zuwarten voraussichtlich zu einer unangemessenen Verzögerung kommen würde, kann der Vorsitzende dies unter Angabe des Hinderungsgrundes vermerken und allein mit seiner Unterschrift das Protokoll fertigstellen. Durch die Corona-Pandemie bedingte Einschränkungen des Dienstbetriebs können – anders als etwa dienstliche Überlastung – ebenfalls geeignet sein, die geregelte Abwicklung des Verfahrens wesentlich zu verzögern, und deshalb im Einzelfall die Annahme einer – freilich näher darzulegenden – Verhinderung rechtfertigen.
Autor: Dr. Axel Deutscher, Richter am Amtsgericht Bochum
zfs 10/2021, S. 544 - 554