ARB 2012 § 3a § 4
Leitsatz
1. Ein Stichentscheid muss sich mit den vom Versicherer genannten Ablehnungsgründen auseinandersetzen.
2. Zur Frage einer offenbaren Abweichung von der Sach- und Rechtslage (offenbare Abweichung verneint) – hier Schadensersatzanspruch gegen einen Rechtsanwalt, der bei Abschuss eines Gesellschaftsvertrags beraten hat.
3. Die Festlegung des "verstoßabhängigen" Rechtsschutzfalls richtet sich – auch im Streitfall – nach den vom VN behaupteten Pflichtverletzungen des Anspruchsgegners.
OLG Hamm, Urt. v. 12.5.2021 – 20 U 36/21
Sachverhalt
Der Kl. begehrt Rechtsschutz zur Verfolgung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen einen Rechtsanwalt aus einer beim beklagten VR bis zum 1.1.2017 gehaltenen Rechtsschutzversicherung.
Dem Versicherungsvertrag lagen ARB 2012 zugrunde.
Der Kl. ist Mitgesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der er sich mit zwei Berufskollegen zur gemeinschaftlichen Ausübung des Arztberufs zusammengeschlossen hat. Am 30.11.2016 kam es nach einer Beratung der Gesellschaft durch Rechtsanwalt G zum Abschluss eines Gesellschaftsanteilskauf- und Beitrittsvertrages mit einer angestellten Ärztin. Der Vertrag, der den Eintritt der angestellten Ärztin als Gesellschafterin zum 1.1.2017 zum Gegenstand hatte, sah die Zahlung eines Kaufpreises von rund 290.000 EUR für die von ihr erworbenen Anteile an der Gesellschaft vor. Nachdem die eintretende Gesellschafterin rund eineinhalb Jahre später aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde, machte sie gegen die Altgesellschafter einen Abfindungsanspruch in Höhe von bis zu 700.000 EUR geltend.
Der Kl. erhob im Jahre 2019 gegen RA G und dessen Sozietät vor dem LG M Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche Schäden, die ihm dadurch entstehen, dass die GbR an die hinausgekündigte ehemalige Gesellschafterin eine ungedeckelte Abfindung nach ihrem Ausscheiden zu zahlen hat.
Das Verfahren endete durch klagabweisendes Urteil LG. Zur Begründung führte das LG aus, Rechtsanwalt G habe es zwar fehlerhaft unterlassen, den Kläger über die Möglichkeit der Deckelung des Abfindungsguthabens für die neu hinzutretende Gesellschafterin hinzuweisen, da eine E-Mail vom 30.11.2016, in der RA G darauf hingewiesen hatte, dass aus seiner Sicht eine Ergänzung um eine entsprechende Klausel erwogen werden sollte, unstreitig nicht an den Kl. gesandt worden sei.
Mit Schreiben vom 6.11.2019 hatte die Bekl. die Erteilung einer Deckungszusage unter Hinweis auf fehlende Erfolgsaussichten abgelehnt und auf die bedingungsgemäß vorgesehene Möglichkeit des Stichentscheids hingewiesen.
Der Kl. beauftragte daraufhin RAin F mit der Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung im Stichentscheidsverfahren. Mit Schreiben vom 20.11.2019 gab RAin F eine achtseitige Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ab. Die Bekl. hielt an ihrer Deckungsablehnung fest.
2 Aus den Gründen:
1. Die Klage ist als Feststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
Allerdings handelt es sich bei der Frage der Bindungswirkung des Stichentscheids vom 20.11.2019 für sich genommen um kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Klageanträge sind jedoch als Prozesserklärungen auszulegen. Für diese Auslegung, ist – ebenso wie bei materiell-rechtlichen Willenserklärungen – nicht allein der Wortlaut der Erklärung maßgebend. Entscheidend ist vielmehr der erklärte Wille, wie er auch aus Begleitumständen und nicht zuletzt der Interessenlage hervorgehen kann. Im Zweifel gilt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (…). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs entsprach es dem Interesse des Klägers, die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für das Klageverfahren vor dem LG M im Haftungsprozess gegen RA G zu erreichen. Hierbei ging er davon aus, dass die Bindungswirkung des Stichentscheids – was zutrifft – eine notwendige rechtliche Vorfrage für diesen Anspruch ist. Auch sein Wille war erkennbar lediglich auf Feststellung der Gewährung bedingungsgemäßen Rechtsschutzes gerichtet, wie sich aus der Formulierung seines Hauptantrags ergibt. Dass er die Bindungswirkung des Stichentscheids hierbei nur als Begründungselement des Anspruchs auf Rechtsschutzgewährung ansieht, macht bereits die Zusammenfassung beider Fragen in einem einheitlichen Klageantrag deutlich (s. zu einer vergleichbaren Fallgestaltung BGH r+s 2017, 320).
2. Die Klage ist auch begründet. Die Bekl. ist zur Gewährung von Deckungsschutz für den Haftungsprozess aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrages verpflichtet. Dem Stichentscheid vom 20.11.2019 kommt Bindungswirkung zu (a)) und der Rechtsschutzfall ist in versicherter Zeit eingetreten (b)).
a) Der Anspruch des Kl. auf Gewährung von Deckungsschutz für die gegen RA G im Haftungsprozess vor dem LG M erhobene Feststellungsklage beruht auf § 3a Abs. 2 Satz 2 ARB 2012. Hiernach ist ein nach Ablehnung von Rechtsschutz durch den Versicherer wegen u.a. fehlender Erfolgsaussicht der W...