Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Stichentscheid muss sich mit den vom Versicherer genannten Ablehnungsgründen auseinandersetzen - hier bejaht (unter II 2 a aa).

2. Zur Frage einer offenbaren Abweichung von der Sach- und Rechtslage (offenbare Abweichung verneint) - hier Schadensersatzanspruch gegen einen Rechtsanwalt, der bei Abschuss eines Gesellschaftsvertrags beraten hat (unter II 2 a bb).

3. Die Festlegung des "verstoßabhängigen" Rechtsschutzfalls richtet sich - auch im Streitfall - nach den vom VN behaupteten Pflichtverletzungen des Anspruchsgegners (dazu unter II 2 b; auch zu BGH, Urteil vom 04.07.2018 - IV ZR 200/16).

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 115 O 187/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 28. Dezember 2020 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte aufgrund des Stichentscheids der Rechtsanwältin L F vom 20. November 2019 zu der Schadennummer der Beklagten ##2 Deckung für das Klageverfahren des Klägers gegen Rechtsanwalt N G (Landgericht Münster, 8 O 354/19) zu gewähren hat.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 13.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt Rechtsschutz zur Verfolgung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen einen Rechtsanwalt aus einer beim beklagten Versicherer bis zum 1. Januar 2017 gehaltenen Rechtsschutzversicherung.

Dem Versicherungsvertrag lagen "Allgemeine Rechtsschutz-Versicherungsbedingungen (B ARB/2012)" (im Folgenden: ARB 2012) der Beklagten zugrunde. Darin heißt es unter anderem:

"§ 3 a Ablehnung des Rechtsschutzes wegen mangelnder Erfolgsaussichten oder wegen Mutwilligkeit - Stichentscheid

(1) Die B kann den Rechtsschutz ablehnen, wenn ihrer Auffassung nach

a) in einem der Fälle des § 2 a) bis g) sowie n) die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder

b) die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen mutwillig ist. Mutwilligkeit liegt dann vor, wenn der durch die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen voraussichtlich entstehende Kostenaufwand unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Versichertengemeinschaft in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht.

In diesen Fällen ist dem Versicherungsnehmer, nachdem dieser die Pflichten gemäß § 17 Abs. 1 b) erfüllt hat, die Ablehnung unverzüglich unter Angabe der Gründe schriftlich mitzuteilen.

(2) Hat die B ihre Leistungspflicht gemäß Abs. 1 verneint und stimmt der Versicherungsnehmer der Auffassung der B nicht zu, kann er den für ihn tätigen oder noch zu beauftragenden Rechtsanwalt auf Kosten der B veranlassen, dieser gegenüber eine begründete Stellungnahme abzugeben, dass die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Erfolg steht und hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht. Die Entscheidung ist für beide Teile bindend, es sei denn, dass sie offenbar von der wirklichen Sach- und Rechtslage erheblich abweicht.

(3) Die B kann dem Versicherungsnehmer eine Frist von mindestens einem Monat setzen, binnen der der Versicherungsnehmer den Rechtsanwalt vollständig und wahrheitsgemäß über die Sachlage zu unterrichten und die Beweismittel anzugeben hat, damit dieser die Stellungnahme gemäß Abs. 2 abgeben kann. Kommt der Versicherungsnehmer dieser Verpflichtung nicht innerhalb der vom Versicherer gesetzten Frist nach, entfällt der Versicherungsschutz. Die B ist verpflichtet, den Versicherungsnehmer ausdrücklich auf die mit dem Fristablauf verbundene Rechtsfolge hinzuweisen.

§ 4 Voraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsschutz

(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles ...

d) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

Die Voraussetzungen nach a) bis d) müssen nach Beginn des Versicherungsschutzes gemäß § 7 und vor dessen Beendigung eingetreten sein ..."

Der Kläger ist Mitgesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der er sich mit zwei Berufskollegen zur gemeinschaftlichen Ausübung des Arztberufs zusammengeschlossen hat. Am 30. November 2016 kam es nach einer Beratung der Gesellschaft durch Rechtsanwalt G zum Abschluss eines Gesellschaftsanteilskauf- und Beitrittsvertrages mit einer angestellten Ärztin. Der Vertrag, der den Eintritt der angestellten Ärztin als Gesellschafterin zum 1. Januar 2017 zum Gegenstand hatte, sah die Zahlung eines Kaufpreises von rund 290.000 EUR für die von ihr erworbenen Anteile an der Gesellschaft vor. Nachdem die eintretende Gesellschafterin rund eineinhalb Jahre später aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde, machte sie gegen die Altgesellschafter einen Abfindungsanspruch in Höhe von bis zu 700.000 EUR gelt...

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