A. Einführung und Problemstellung
Als der Gesetzgeber im August 2013 mit dem Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung in der Krankenversicherung den so genannten Notlagentarif einführte, sollte dies dem Schutz der Versicherungsnehmer dienen. Wurden zuvor säumige Zahler in der privaten Krankenversicherung in den vergleichsweise teuren Basistarif umgestuft, sollen diese nach dem Willen des Gesetzgebers (§ 193 Abs. 6 bis 10 VVG) mit Hilfe eines Mahnverfahrens in den Notlagentarif überführt werden. Die Vorteile für den Versicherungsnehmer liegen auf der Hand: Der reguläre Versicherungsvertrag wird lediglich ruhend gestellt. Sobald die Beitragsschulden inkl. der Säumniszuschläge und Zinsen vollständig beglichen wird, lebt der alte Tarif aus der Krankheitskostenversicherung wieder auf. Durch die Umstellung in den Notlagentarif erfährt der Versicherungsnehmer zudem eine Beitragsentlastung, da der monatliche Beitrag lediglich zwischen 100,00 und 125,00 EUR beträgt. Hierdurch soll dem Versicherungsnehmer der Abbau der aufgelaufenen Beitragsschulden ermöglicht werden. Sind alle Schulden getilgt, kehrt der Versicherungsnehmer in seinen alten Tarif zurück. Während der Versicherungsnehmer im Notlagentarif versichert ist, hat er lediglich Anspruch auf medizinische Leistungen bei Schmerzzuständen und akuten Erkrankungen. Daneben können Schwangere und junge Mütter Zusatzleistungen beanspruchen.
Allerdings sind die Voraussetzungen für die Überleitung in den Notlagentarif im Gesetzestext nicht umfassend geregelt. Dies liegt insbesondere daran, dass § 193 Abs. 6 S. 1 VVG zwar bestimmt, dass der Versicherungsnehmer mit einem Betrag in Höhe von Prämienanteilen für zwei Monate im Rückstand sein muss, jedoch der Begriff "Rückstand" im gesamten VVG nicht definiert wird.
B. Wie ist der Begriff "Rückstand" in § 193 Abs. 6 S. 1 VVG auszulegen?
Aus dem genannten Grund ist die genaue Bedeutung dieser Rechtsnorm unklar. Hieraus folgt, dass diese durch Auslegung zu ermitteln ist. Diese hat von der Wortbedeutung auszugehen , also vorliegend von der Wortbedeutung des Begriffs "Rückstand". Weil es sich hierbei um ein anderes Wort oder anders ausgedrückt um ein Synonym für "Verzug" handelt , ist die Rechtslage vorliegend dieselbe, wie wenn der Gesetzgeber in § 193 Abs. 6 S. 1 VVG anstelle des Wortes "Rückstand" das Wort "Verzug" gebrauchen würde. Hierfür sprechen auch die Gesetzesmaterialien, aus denen hervorgeht, dass der Versicherungsnehmer säumig sein muss , wobei "säumig" ebenfalls ein anderes Wort für "im Verzug" ist. Folglich entspricht es dem im Gesetzeswortlaut objektivierten Willen des Gesetzgebers, einen Verzug des Versicherungsnehmers als zwingende Voraussetzung für dessen Überleitung in den Notlagentarif anzusehen. Dieser Wille des Gesetzgebers muss nach der objektiven Theorie bei der Gesetzesauslegung beachtet werden.
C. Welche weiteren Rechtsnormen sind auf diesen Rückstand anwendbar?
Wenn ein Versicherungsnehmer mit der Beitragszahlung im Rückstand ist, handelt es sich um einen Schuldnerverzug. Dieser ist in § 286 BGB und damit im Allgemeinen Teil des Schuldrechts des BGB (§§ 241 – 432) geregelt. Aus diesem Grund finden die Regeln des BGB über den Schuldnerverzug auch auf die im VVG geregelten Schuldverhältnisse Anwendung. Weil zu den letzteren Schuldverhältnissen auch Krankenversicherungsverträge rechnen (vgl. § 192 VVG), sind die Regeln des BGB über den Schuldnerverzug auch für die Frage, ob sich ein Versicherungsnehmer i.S.v. § 193 Abs. 6 S. 1 VVG im Rückstand oder mit anderen Worten im Verzug befindet, von entscheidender Bedeutung.
D. Was folgt hieraus?
Nach den Regeln des BGB über den Schuldnerverzug genügt die bloße Nichterfüllung einer rechtlichen Pflicht noch nicht für den Eintritt des Schuldnerverzugs. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Schuldner die Leistung zum einen aus einem von ihm zu vertretenden Grund und zum anderen pflichtwidrig verzögert. Also handelt es sich insoweit um kumulative Voraussetzungen.
I. Der Versicherungsnehmer muss die Verzögerung zu vertreten haben
Die erstere dieser Voraussetzungen ergibt sich aus § 286 Abs. 4 BGB , wobei die §§ 276 – 278 BGB regeln, was der Schuldner zu vertreten hat. Hiernach ist dieser für die Verzögerung der Leistung auch dann verantwortlich, wenn sie auf mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit , Fehlern bei geschäftlichen Dispositionen oder auf Gründen beruht, die in seinen Risikobereich fallen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass in allen Fällen, in denen die Verzögerung der Leistung auf Gründen beruht, die außerhalb des Risikobereichs des Schuldners liegen, ein Verzug zu verneinen ist. Eine solche vom Schuldner nicht zu vertretende Verzögerung der Leistung besitzt auch bei ...