StVG § 7 § 10 § 11; BGB § 253 Abs. 2 § 823 Abs. 1 § 844 Abs. 3; AuslPflVG § 6; VVG § 115 Abs. 1 Nr. 1

Leitsatz

1. Ohne eine pathologisch fassbare Auswirkung sind auch Depressionen, Schlafstörungen, Alpträume, Seelenschmerzen, Weinkrämpfe, Gefühle des "Aus-der-Bahn-geworfen-seins" und vorübergehende Kreislaufstörungen bis hin zu Kollaps-Belastungen, in denen sich nach der Wertung des Gesetzes lediglich das "normale" Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt verwirklicht, nicht ausreichend für die Annahme eines sogenannten "Schockschadens".

2. Alleine die von ärztlicher Seite für notwendig erachtete Behandlung, weil der Tod des Sohnes nicht verarbeitet werden kann, belegt noch keine nach der allgemeinen Verkehrsauffassung bestehende Gesundheitsverletzung.

3. Von wesentlicher Bedeutung bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes sind dabei die gesundheitlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Klägers. Zu berücksichtigen sind auch die familiären Belastungen, insbesondere im Verhältnis zu seiner Ehefrau sowie die grobe Fahrlässigkeit des Unfallverursachers.

4. Es erscheint dabei angemessen, auch das Hinterbliebenengeld im Bereich des Durchschnitts von 10.000,00 EUR anzusetzen und diesen Durchschnittsbetrag wegen des besonders schmerzlichen Verlustes eines minderjährigen Kindes mit messbaren Krankheitsfolgen (Anpassungsstörung und leichte Depression) auf 15.000,00 EUR zu erhöhen.

5. Auch wenn ein Anspruch nach Schockschadensgrundsätzen nach den obigen Ausführungen nicht besteht, liegt trotzdem bereits ein feststellungsfähiges gegenwärtiges Rechtsverhältnis vor.

OLG Celle, Urt. v. 24.8.2022 – 14 U 22/22

Sachverhalt

[1] I. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schmerzens- bzw. Hinterbliebenengeld nebst Zinsen aus einem Verkehrsunfall am … 2018 in H. in Anspruch sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden.

[2] Der am … 2006 geborene Sohn des Klägers ist von einer von dem Beklagten versicherten Sattelzugmaschine während eines Abbiegevorgangs tödlich verletzt worden. Während die Ehefrau des Klägers den Unfall aus unmittelbarer Nähe mit ansehen musste, traf der Kläger selbst kurz nach dem Unfall an der Unfallstelle ein. Dabei sah er auch den Körper seines verstorbenen Sohnes. Der Kläger bedurfte vor Ort angebotener Hilfe der Notfallseelsorge. Er begab sich zusammen mit seiner unfallbedingt psychisch schwer erkrankten Frau in psychologische Behandlung. Der Beklagte zahlte dem Kläger insgesamt Vorschüsse in Höhe von 15.000 EUR.

[3] Mit angefochtenem Urt. v. 10.1.2022 hat das Landgericht Hannover die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch aufgrund eines sogenannten Schockschadens. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen PD Dr. Dr. W. sei bei dem Kläger von einer leichten depressiven Episode sowie einem normalpsychologischen Trauerzustand auszugehen. Die Beeinträchtigungen gingen daher nicht deutlich über das hinaus, was Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß erleiden würden. Der Kläger habe allerdings dem Grunde nach einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld, jedoch lediglich in Höhe der bereits gezahlten 15.000 EUR. Dieser Betrag orientiere sich sowohl an den Vorstellungen des Gesetzgebers als auch der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen. Das Feststellungsbegehren sei unzulässig, weil für zukünftige Schäden nichts ersichtlich sei.

[4] Gegen das am 11.1.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 2.2.2022 Berufung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 11.3.2022 begründet hat. Er verfolgt damit sein Zahlungsbegehren in Höhe von mindestens 5.000 EUR sowie das Feststellungsbegehren weiter. Eine "Deckelung" des Hinterbliebenengeldes auf bestimmte Beträge sei nach der Gesetzesbegründung nicht gewollt gewesen. Soweit sich das Landgericht auf im gesamteuropäischen Rahmen zuerkannte Beträge berufe, habe es diese zu niedrig angesetzt. Zudem habe das Landgericht auch nicht alle Umstände des vorliegenden Einzelfalles berücksichtigt. Diese rechtfertigten auch unter Berücksichtigung der vom Landgericht zitierten Vergleichsrechtsprechung einen höheren Betrag, insbesondere weil der Kläger am Unfallort anwesend gewesen sei und dort seinen verstorbenen Sohn gesehen habe. Darüber hinaus bestehe auch die Gefahr künftiger Schäden, weil die unfallbedingte Trennung von der Ehefrau zu befürchten sei, was zu weiteren psychischen Belastungen führen würde.

[5] Mit Schriftsatz vom 13.3.2022 hat der Kläger den Zahlungsantrag für erledigt erklärt, weil der Beklagte eine den (Mindest-)Betrag übersteigende Zahlung geleistet habe. Mit Schriftsatz vom 15.3.2022 hat er diese Erklärung widerrufen, weil die Zahlung lediglich zum Aktenzeichen des Klägers erfolgt sei, jedoch auf die Ansprüche der Ehefrau geleistet werden sollte.

[8] Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Das bereits geleistete Hinterbliebenengeld entspreche den bisher zuerkannten Vergleichswerten. Ihm komme keine (vollständige) Ausgleichsfunktion zu, sondern es handele sich lediglich um eine Anerkennung des erlittenen Leides. ...

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