VVG § 192; MB/KK § 1 Abs. 2 § 2 Abs. 1
Leitsatz
Erfordert eine akute Parodontosebehandlung aufgrund der Schwere der Grunderkrankung eine engmaschige Nachsorge durch regelmäßige Erhebung des Parodontosestatus, bilden Akut- und Nachsorgebehandlung einen einheitlichen Versicherungsfall in der privaten Krankenversicherung. Der Versicherungsfall wird nicht dadurch beendet, dass die medizinisch gebotene Nachsorgebehandlung in medizinisch nicht vertretbarer Weise unterbleibt.
OLG Frankfurt, Urt. v. 27.10.2021 – 7 U 70/20
Sachverhalt
Die Kl. begehrt von der Bekl. Versicherungsleistungen aus einer Zahnzusatzversicherung.
Im Jahr 2004 begab die Kl. sich wegen einer Parodontose im Oberkiefer in Behandlung bei dem mittlerweile verstorbenen Parodontologen A. Im Krankenblatt der Zahnärztin der Kl. ist ferner im Jahr 2006 eine "tiefe parodontale Tasche" vermerkt. Die Zeugin fertigte am 18.10.2010 eine röntgenologische Einzelaufnahme von Zahnregionenen, wobei die Indikation für die Röntgenuntersuchung nicht dokumentiert ist.
Am 19.3.2012 beantragte die Kl. bei der Bekl. den Abschluss einer Zahnzusatzversicherung. Diese kam mit dem technischen Versicherungsbeginn 1.4.2012 in den Tarifen "X.flexi" zustande, wobei eine Wartezeit von acht Monaten vereinbart war. Hiernach leistet die Bekl. für medizinisch notwendigen Zahnersatz i.H.v. 80 % der Kosten. Dem Versicherungsverhältnis liegen unter anderem die "X-AVB" zugrunde. Nach § 1 Abs. 2 S. 2 X-AVB beginnt der Versicherungsfall mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Nach § 2 Abs. 1 X-AVB wird für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, nicht geleistet. Am 14.5.2013 beantragte die Kl. die Kostenübernahme für eine Oberkiefersanierung, was die Bekl. ablehnte, da der Versicherungsfall in Form einer Parodontose bereits vor Versicherungsbeginn eingetreten sei.
2 Aus den Gründen:
Die Kl. hat gegen die Bekl. keinen Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung für die Zahnbehandlung des Oberkiefers im Jahr 2015, da der streitgegenständliche Versicherungsfall bei Vertragsschluss schon begonnen hatte.
Der Leistungsausschluss wegen Vorvertraglichkeit ist am Maßstab des AGB-Rechts wirksam, wobei die hier streitgegenständlichen Klauseln den MB/KK 2009 entsprechen. Die für die substitutive Krankenversicherung in der rechtswissenschaftlichen Literatur vorgebrachten erheblichen Wirksamkeitsbedenken (vgl. Prölss/Martin/Voit MB/KK 2009 § 1 Rn 8-10; a.A. Brand in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2020, § 1 MB/KK 2009 Rn 21 f.) greifen für die hier streitgegenständliche bloße Zusatzversicherung nicht durch. Auch der BGH geht ersichtlich von der Wirksamkeit des Leistungsausschlusses im Rahmen von Zusatzversicherungen aus (vgl. BGH, r+s 2015, 142).
Die Darlegungs- und Beweislast für die Vorvertraglichkeit i.S. § 2 Abs. 1 S. 2 X-AVB (MB/KK 2009) trägt die Bekl. (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.6.2013 – 12 U 127/12 juris Rn. 19 …), die sich mit der Verwendung des Begriffs "Versicherungsfälle" in § 2 Abs. 1 S. 2 X-AVB (MB/KK 2009) selbst die Beweislast dafür auferlegt hat, dass diese schon vor Eintritt des Versicherungsschutzes begonnen haben (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 11. 9. 2015 – I-20 U 211/14 –, juris Rn. 32; …).
Die Beweislast der Bekl. erstreckt sich nicht nur darauf, darzulegen und zu beweisen, dass der Versicherungsfall vor Ablauf der Wartezeit eingetreten ist, sondern dieser muss bereits vor dem technischen Versicherungsbeginn begonnen haben. Kein Versicherungsschutz besteht demnach hier für medizinisch notwendige Heilbehandlungen, mit denen bereits vor dem 1.4.2012 begonnen wurde, wobei die Behandlungsbedürftigkeit nicht bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes wieder entfallen sein darf. Für den Beginn der "Behandlung" einer Krankheit stellt der BGH auch bei einem schon bekannten Grundleiden auf die erste Inanspruchnahme jeglicher ärztlichen Tätigkeit ab, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Tätigkeit des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt (vgl. BGH, r+s 2015, 142 Rn 16).
Nach diesem rechtlichen Maßstab hat die Bekl. den erforderlichen Beweis erbracht. Ausweislich des Krankenblattes der Zahnarztpraxis 1 war die Parodontose der Kl. mindestens seit dem Jahr 2004 ärztlich festgestellt. Sie wurde auch fachärztlich bei A behandelt. Sofern die Kl. hiergegen einwendet, dass die Parodontose damals als ausgeheilt anzusehen gewesen sei und keiner weiteren Behandlung mehr bedurfte, sodass eine Einstellung der parodontalen Behandlung nach Abschluss der Behandlung der Parodontitis medizinisch vertretbar gewesen sei, steht dem das Ergebnis der Beweisaufnahme entgegen, wonach die durchgängige Behandlungsbedürftigkeit seit 2004 bis zum Abschluss des Versicherungsvertrages erwiesen ist.
Die Oberkiefersanierung der Kl. im Jahr 2015 war die direkte Folge der bei der Kl. vorhandenen chronischen marginalen Parodontose. Dies hat die Sachverständige überzeugend bestätigt und d...