Einen ähnlichen Fall mit Schwerpunkt in der Frage der Reichweite des Vertrauensgrundsatzes hatte jüngst der BGH zu entscheiden :
Abends gegen 23 Uhr läuft der Kläger entlang einer Fahrbahn, deren zwei Fahrspuren durch eine Mittellinie getrennt sind. Der Beklagte nähert sich mit seinem Pkw, als der Kläger mit dem Überqueren der Fahrstreifen beginnt. Dabei "rennt" der Kläger über den aus Sicht des Beklagten links liegen Fahrstreifen in Richtung der Mittellinie und macht keine Anstalten, an der Fahrbahnmitte anzuhalten.
Diesen Fall nahm der BGH zum Anlass, die ohnehin schon bestehende Senatsrechtsprechung hinsichtlich des Vertrauensgrundsatzes noch einmal zu präzisieren: "Nach dem im Straßenverkehr geltenden Vertrauensgrundsatz kann ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet, solange die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt. (…) Er (der Fahrzeugführer) braucht aber weder damit zu rechnen, dass ein erwachsener Fußgänger versuchen wird, kurz vor seinem Fahrzeug die Fahrbahn zu betreten, noch darauf gefasst zu sein, dass ein Fußgänger, der beim Überschreiten der Fahrbahn vor oder in der Mitte der Straße anhält, unerwartet weiter in seine Fahrbahn laufen werde, solange er bei verständiger Würdigung aller Umstände keinen Anlass hat, an dem verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln."
Da aber der Fußgänger hier während der unmittelbaren Annäherung noch in Bewegung war und keine Anstalten machte an der Mittellinie zu stoppen, sah der BGH den Fahrzeugführer in der Pflicht, sein Verhalten auf einen potentiellen Verkehrsverstoß des Fußgängers einzustellen. Vor dem jetzt erneut zuständigen Berufungsgericht wird daher aller Wahrscheinlichkeit nach eine Haftungsquote denn die alleinige Haftung des Fußgängers das Ergebnis sein. Das mag auf den ersten Blick "ungerecht" erscheinen, entspricht aber dem Leitbild der Gefährdungshaftung. Die Entscheidung des BGH ist richtig, auch vor dem Hintergrund, dass der betroffene Fahrzeugführer das Verhalten des Fußgängers ausreichend lang beobachten konnte und sich hierauf hätte einstellen müssen.
Gleiches entschied z.B. das OLG Rostock in dem Fall eines Fußgängers, der außerorts auf einer Bundesstraße auf dem linken Fahrstreifen stehenbleibt, obwohl er mehr als genug Zeit gehabt hätte, die Fahrbahn vollständig zu überqueren. Hier ging das OLG von einer Mithaftung des Fahrzeughalters im Bereich von 50 % aus.
Der Vertrauensgrundsatz hinsichtlich eines verkehrsgerechten Verhaltens des Fußgängers dürfte auch bei den in § 3 Abs. 2a StVO genannten Personengruppen nicht, jedenfalls nicht uneingeschränkt bestehen. Die Rechtsprechung geht zu Recht davon aus, dass der Fahrzeugführer im Zweifel zu beweisen hat, dass der Fußgänger nicht zu der geschützten Personengruppe gehört und daher besondere Vorsichtsmaßnahmen nicht erforderlich waren. Er muss sich also so lange zurückhalten und vorsichtig verhalten, bis er – dem Wortlaut entsprechend – eine Gefährdung ausschließen kann. Gerade vor Schulen und Kindergärten sowie an Haltestellen des öffentlichen Personen(nah)verkehrs dürften ähnliche Regeln gelten, da auch hier nicht mit einem 100 %ig adäquaten Verhalten der Fußgänger gerechnet werden darf.