Autobahnen dürfen – mit den für Kraftfahrstraßen genannten Ausnahmen im Pannen- oder Notstandsfall – durch Fußgänger nicht betreten werden, § 18 Abs. 9 S. 1 StVO. Ausnahmen kennt das Gesetz hierzu nicht. Zu der Fahrbahn der Autobahn gehören auch der Standstreifen[24] sowie die Auffahrten.[25] Für das Betreten durch Wartungspersonal/die Streckenwartung gelten diese Regelungen ebenfalls, wobei ein Betreten zur Durchführung zwingend erforderlicher Arbeiten grundsätzlich möglich sein muss. Hier sind aber die zur Eigen- und Fremdsicherung aufgestellten Bestimmungen der "Richtlinien zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen" (RSA),[26] Teil D zwingend zu beachten.

Mit einem etwas außergewöhnlichen Fall hatte sich das OLG Brandenburg in der Berufungsinstanz nach einem vorangegangenen Grundurteil des LG Cottbus[27] zu befassen[28] :

Als Klägerin tritt die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung auf. Ihr Versicherter fuhr hinter einem anderen Fahrzeug auf die Autobahn auf. Der Vorausfahrende musste wegen eines Pannenfahrzeugs auf dem Beschleunigungsstreifen stark abbremsen. Der Versicherte fuhr in der Folge auf, wurde in Richtung der Mittelleitplanke abgewiesen und verursachte mit dem nachfolgenden Verkehr auf der Hauptfahrbahn einen weiteren Unfall. Mehrere andere, beleuchtete Fahrzeuge kamen dahinter zu Stehen und schalteten die Warnblinklichter ein. Jetzt stieg der Versicherte aus und lief ohne Warnweste über alle Fahrspuren in Richtung des Standstreifens, da er vermeintlich Brandgeruch im Fahrzeug bemerkte. Auf dem rechten Fahrstreifen wurde er dann von dem mit 50 km/h fahrenden Gespann des Beklagten erfasst und verletzt.

Das OLG gelangt zu einer Haftungsquote von 50 % zu 50 %. Maßgeblich war hierbei zum einen, dass der Beklagte zwar grundsätzlich auf § 18 Abs. 9 StVO vertrauen und davon ausgehen durfte, dass keine Fußgänger auf der Autobahn laufen. Wegen der offensichtlich zu erkennenden Unfallsituation (Warnblinklicht an anderen, z.T. stehenden Fahrzeugen) wurde dieser Vertrauensgrundsatz aber durchbrochen, sodass der Beklagte zum anderen von atypischen Geschehensabläufen ausgehen und sich auf diese einstellen musste. Zu seinen Lasten wirkte auch der Verstoß gegen § 3 StVO wegen der für die sich bietende Gefahrenstelle zu hohen Geschwindigkeit.

Auf Seiten des bei der Klägerin versicherten Fußgängers stellt das Gericht den Verstoß gegen § 18 Abs. 9 StVO in die Haftungsabwägung ein. Hier wäre trotz der vorangegangenen Unfallsituation größte Vorsicht erforderlich gewesen. Auch das fehlende Tragen einer Warnweste i.S.d. § 53a StVZO bewertet das Gericht hier als (mit-)haftungsbegründend, ebenso wie den Umstand, dass auch hinter der Mittelleitplanke ausreichender Schutz erreichbar gewesen wäre, ohne die Fahrstreifen überqueren zu müssen.[29]

[24] OLG Celle, Urt. v. 12.12.2007 – 14 U 20/07.
[25] Das gilt für sämtliche Verkehrsflächen, die sich aus Sicht des Auffahrenden hinter dem Zeichen 330.1 befinden.
[26] Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), Richtlinien zur verkehrsrechtlichen Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen, Ausgabe 2021, veröffentlicht mit dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau (ARS Nr. 24/2021) im Verkehrsblatt (Heft 03/2022) am 15.2.2022.
[27] LG Cottbus, Urt. v. 14.11.2022 – 4 O 480/21.
[29] Dazu auch Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 6. Aufl. 2021, Mitverantwortung des Geschädigten, Rn 25 – 43.

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