I. Mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirft die Staatsanwaltschaft dem in Frankreich ansässigen Angeschuldigten vor, am 17.2.2023 gegen 23:00 Uhr in Kehl einen Pkw geführt zu haben, obwohl gegen ihn, wie er gewusst habe, aufgrund des Bußgeldbescheides der Stadt S vom 22.5.2022 (505.09.517002.6) ein Fahrverbot bestanden habe, strafbar als vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG.
II. Zwar wird voraussichtlich festzustellen sein, dass der Angeschuldigte wie vorgeworfen mit einem Pkw fuhr und gegen ihn zuvor ein Bußgeldbescheid mit Fahrverbot nebst Schonfrist gemäß § 25 Abs. 2a StVG erlassen wurde. Dennoch besteht gegen den Angeschuldigten kein hinreichender Tatverdacht. Nach Aktenlage kann nämlich nicht festgestellt werden, dass der Bußgeldbescheid rechtskräftig und damit das Fahrverbot wirksam geworden ist, weil die von der Bußgeldbehörde veranlasste Zustellung per Einschreiben mit Rückschein fehlschlug (1.) und eine Heilung der fehlerhaften Zustellung nicht festgestellt werden kann (2.).
1. Gemäß § 46 OWiG in Verbindung mit § 37 Abs. 1 StPO, § 183 Abs. 2 ZPO und Art. 5 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29.5.2000, das gemäß seines Art. 3 Abs. 1 auch für Verfahren wegen Handlungen gilt, die als Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften durch Verwaltungsbehörden geahndet werden, gegen deren Entscheidung ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann, hier das Verfahren nach den §§ 35 ff. OWiG, kann ein Bußgeldbescheid an Personen, die sich – wie hier – im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhalten, für sie bestimmte Verfahrensurkunden – hier der Bußgeldbescheid – unmittelbar durch die Post zum Zwecke der Zustellung übersandt werden, wobei dies gemäß § 183 Abs. 2 Satz 2 StPO durch Einschreiben mit Rückschein oder mittels eines gleichwertigen Nachweises erfolgen soll. So verfuhr auch die Bußgeldstelle der Stadt S im vorliegenden Fall, wobei das Einschreiben mit Vermerken der französischen Post zur Akte zurückgelangte, wonach der Empfänger am 11.5.2022 über das Einschreiben informiert worden sei, er es aber nicht abgeholt habe; der unterschriebene Rückschein befindet sich nicht bei den Akten. Damit war die Zustellung des Bußgeldbescheides an den Angeschuldigten gescheitert. Die von der Bußgeldstelle angenommene und der Mitteilung zum Fahreignungsregister über den Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids am 26.5.2022 zugrunde gelegte Ersatzzustellung durch Niederlegung kommt nicht in Betracht, weil § 183 ZPO nicht auf § 181 ZPO verweist (OLG Brandenburg StV 2003, 324; OLG Oldenburg StV 2005, 432 und LG Nürnberg-Fürth StraFo 2009, 381) und eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift jedenfalls im vorliegenden Fall schon deshalb ausscheidet, weil es zum einen an der zum Nachweis der Ersatzzustellung durch Niederlegung erforderlichen Zustellungsurkunde mit dem in § 182 ZPO näher bezeichneten Inhalt fehlt (vgl. OLG Brandenburg a.a.O. und OLG Oldenburg a.a.O.), wobei es vorliegend dahinstehen kann, ob diese Zustellungsurkunde zwingend mit dem durch § 1 Nr. 1 ZustVV eingeführten Formular erstellt werden müsste, da die Vermerke der französischen Post auf dem Umschlag des Einschreibens ohnehin weder den Urheber erkennen lassen noch unterschrieben sind, und zum anderen nicht (annähernd) die dreimonatige Bereithaltungsfrist des § 181 Abs. 2 ZPO eingehalten wurde, nachdem das Einschreiben – ausweislich des Scanvermerks in der Bußgeldakte – spätestens am 30.6.2022 wieder zur Akte gelangte.
2. Durchgreifende Anhaltspunkte für eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 46 OWiG in Verbindung mit § 37 Abs. 1 StPO, § 189 ZPO bestehen nicht. Zwar sei der Bußgeldbescheid dem Angeschuldigten (später) auch formlos übersandt worden. Hinweise über den tatsächlichen Zugang liegen jedoch nicht vor. Die mittlerweile erfolgte Zahlung des festgesetzten Bußgeldes lässt den Schluss auf den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides beim Angeschuldigten vor der inkriminierten Fahrt jedenfalls nicht zu, weil sie ausweislich des Sachverhalts der Formblattanzeige erst am 17.2.2023 aufgrund der Fahndungsnotierung zur Vollstreckung des Fahrverbots an die ihn kontrollierenden Polizeibeamten entrichtet wurde.
Nach alldem ist dem Bußgeldbescheid die für § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG hinsichtlich des Fahrverbots erforderliche Tatbestandswirkung abzusprechen und der Erlass des beantragten Strafbefehls aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
zfs 10/2023, S. 588 - 589