[…] Die Rechtsbeschwerde hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen, obwohl dieser über einen Cannabis-Pass verfügt, mit der Begründung verurteilt, die Verschreibung des Cannabis sei unter "Missachtung jeglicher grundlegender, ärztlicher Mindestanforderungen für Betäubungsmittel" erfolgt. So habe der ausstellende Arzt lediglich die Behauptung, dass der Betroffene unter einer ADHS-Erkrankung leide, übernommen. Er habe lediglich einmal persönlich Kontakt zum Betroffenen gehabt und sei auch nicht in der Nähe des Wohnorts des Betroffenen ansässig. Die folgenden "Verschreibungen" seien lediglich auf telefonische Anforderung oder Anforderung per E-Mail erfolgt, eine Überprüfung der Einnahme der Medikamente habe durch den Arzt nicht stattgefunden.
Diese Begründung trägt die Verurteilung des Betroffenen nicht. Zwar hat der Betroffene unter der Wirkung eines Betäubungsmittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt. Allerdings trifft einen Betroffenen dann kein Vorwurf, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt, sog. "Medikamentenklausel" (§ 24a Abs. 2 S. 3 StVG; kritisch hierzu: HKD/König, Straßenverkehrsrecht, § 24a StVG Rn 22: "kriminalpolitisch überaus bedenklich"; ders. in DAR 2019, 362, 369: "In Verbindung mit der Zulassung von "Medizinalhanf" als Arzneimittel … im Grunde unverantwortlich").
Auch wenn die Bedenken, die das Amtsgericht hinsichtlich des Zustandekommens der Verschreibung von Cannabis äußert, nachvollziehbar sind (vgl. auch Maatz, BA 2018 SUP I 30 ff: "… nicht zu unterschätzende Gefahr des Missbrauchs …") bleibt festzuhalten, dass dem Betroffenen Cannabis für eine ADHS-Erkrankung ärztlicherseits verschrieben worden ist, er sich insoweit auf den Ausnahmetatbestand berufen kann. Der behandelnde Arzt trägt dabei die "Letztverantwortung für die Indikationsstellung und Verschreibung" (Maatz, a.a.O.). Dass der Arzt ein falsches Gesundheitszeugnis ausgestellt hätte, ist nicht festgestellt worden. Anders als im in BGHSt 6, 90 entschiedenen Fall, hat der Arzt den Betroffenen hier auch zumindest persönlich gesehen. Ob der Arzt zu mehr – körperliche Untersuchung – verpflichtet war, kann dahinstehen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene dies hätte wissen müssen. Zwar hat das Amtsgericht festgestellt, dass (auch) bei der hier maßgeblichen letzten Verschreibung vor dem TT.MM.2021 keine Dosierung angeben worden ist, was ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Nr. 5 BtMVV sein könnte. Dass dem Betroffenen dieses Erfordernis aber bekannt war oder er es hätte erkennen können, ist nicht ersichtlich. Dies gilt ebenso hinsichtlich der Frage, ob der Behandlungszweck auch auf andere Weise hätte erreicht werden können, was die Anwendung von Betäubungsmitteln als nicht begründet erscheinen ließe (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BtMG).
Der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit könnte dem Betroffenen deshalb -nach derzeitigem Stand- nur gemacht werden, wenn die bei ihm festgestellten Werte nicht auf der bestimmungsgemäßen Einnahme -ggf. wäre zu klären, ob und ggf. welche Anwendungshinweise dem Betroffenen im Hinblick auf die verschiedenen Präparate möglicherweise telefonisch oder per mail gemacht worden sind- beruht hätten. Von der Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht -aus seiner Sicht konsequent- abgesehen.
Da somit weitere Feststellungen zu treffen sind, war die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die bisher getroffenen objektiven Feststellungen konnten bestehen bleiben, da das Urteil insoweit keinerlei Rechtsfehler erkennen lässt.
zfs 10/2023, S. 591 - 592