StVG § 7 Abs. 1 § 18 Abs. 1; BGB § 249 § 823 Abs. 1; VVG § 86 § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Leitsatz
1. Holt eine Kfz-Versicherung – und nicht der geschädigte Versicherungsnehmer selbst – zur Schadensbestimmung ein Gutachten ein, sind die Gutachterkosten nicht ersatzfähig, wenn die Feststellungen jedenfalls nicht in erster Linie dazu dienen, die Schadensgeltendmachung gegenüber dem Schädiger zu ermöglichen, sondern zunächst zur Feststellung der Regulierungspflicht erfolgen (BGH, Urt. v. 18.10.2018 – III ZR 236/17).
2. Bei der Beauftragung von Rechtsanwälten sind die Rechtsverfolgungskosten ausnahmsweise nicht ersatzfähig, wenn zum Zeitpunkt der Mandatierung außer Zweifel steht, dass keine (weitere) Regulierung des Schadens durch den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung erfolgt.
3. Kfz-Haftpflichtversicherer können bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen die Unfallkostenpauschale beanspruchen, soweit die Kosten der Schadensdarlegung gegenüber dem Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung betroffen sind. Soweit die Prüfung der eigenen Regulierungspflicht betroffen ist, kann die Unfallkostenpauschale von einem Kfz-Haftpflichtversicherer selbst nicht geltend gemacht werden.
LG Münster, Urt. v. 1.6.2023 – 8 O 136/22
1 Aus den Gründen:
II. Die Beklagte hat im Umfang einer Haftungsquote von 50 % die der Klägerin entstandenen unfallbedingten Fahrzeugreparaturkosten und die Mahnkosten zu tragen (§ 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG, § 249 BGB). Dagegen sind die außergerichtlichen Anwaltskosten und die Sachverständigengebühren nicht ersatzfähig …
2. Von den geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten kann die Klägerin lediglich die Mahnkosten im Umfang von 50 % ersetzt verlangen.
a. Materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Rechtsverfolgungskosten ist §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 86 VVG.
Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB). Bei Versicherungen ist wie folgt zu differenzieren:
aa. Zum einen können Schadensersatzansprüche nach § 86 VVG übergehen.
Maßgebend ist, ob es sich um eigene Aufwendungen zur Feststellung der Eintrittspflicht des Versicherers handelt. Solche sind nicht von § 86 VVG erfasst und daher nicht ersatzfähig (BGH, Urt. v. 18.10.2018 – III ZR 236/17). Demgegenüber sind Kosten, die dem Zweck dienen, dem Versicherungsnehmer (bzw., nach Forderungsübergang gem. § 86 VVG, der Versicherung) die Schadensdarlegung gegenüber dem Schädiger zu ermöglichen, von § 86 VVG erfasst (BGH, Urt. v. 18.10.2018 – III ZR 236/17; Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 86 VVG, Rn 33-34a).
Im Streitfall dienten die die Anwalts- und die Mahnkosten weder allein noch vornehmlich zur Feststellung der Leistungspflicht der Versicherung, sondern vorrangig zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung. Solche Kosten sind von § 86 VVG erfasst (Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 86 VVG, Rn 33-34a; Hormuth in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Auflage 2015, § 22. Übergang des Ersatzanspruchs (§ 86 VVG), Rn 70; a.A. für die Unfallkostenpauschale Wimber in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, § 249 BGB, Rn 253).
Dagegen dienten die Kosten für das Kasko Gutachten zunächst der Prüfung der Regulierungspflicht der Klägerin gegenüber ihrem Versicherungsnehmer. Diese Feststellungen dienten jedenfalls nicht in erster Linie dazu, die Schadensgeltendmachung gegenüber dem Schädiger zu ermöglichen, sondern zunächst zur Feststellung der Regulierungspflicht. Diese aufgewandten Sachverständigenkosten stellen nach der Rechtsprechung des BGH Aufwendungen des Versicherers in eigener Angelegenheit dar, die er selbst zu tragen hat (BGH, Urt. v. 18.10.2018 – III ZR 236/17).
bb. Zum anderen kommen Ansprüche aus Verzug in Betracht (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 249 BGB, Rn 57 a.E.).
Zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters befand sich die Beklagte jedoch nicht in Verzug. Weder hatte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits eine Mahnung ausgesprochen, noch hatte die Beklagte die Regulierung ernsthaft und endgültig verweigert.
b. Im Streitfall sind auch die Anwaltskosten nicht ersatzfähig.
Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit von Rechtsverfolgungskosten ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass die Rechtsverfolgungskosten aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urt. v. 29.10.2019 – VI ZR 45/19 –, Rn 21). Maßgebend ist der Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung, sodass es darauf ankommt, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus Sicht des Geschädigten darstellt. In einfach gelagerten Fällen, bei denen die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe klar ist, kann der Geschädigte den Schaden grundsä...