Die Berufung hat Erfolg.
I. Sie ist zulässig und begründet. Das VG hätte der Klage stattgeben müssen. Der Sicherstellungsbescheid des Bekl. v. 3.2.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 29.6.2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kl. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Zwar kann, wie hier geschehen, eine präventiven Zwecken dienende Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – POG – grundsätzlich neben einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme nach den Vorschriften der StPO (sog. doppelfunktionale Maßnahme) angeordnet werden (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 26.4.2017 – 2 StR 247/16, juris Rn 21, 25 ff.; OVG RP, Beschl. v. 20.4.2022 – 7 B 10279/22.OVG –, n.v.).
Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrades des Kl. lagen hier indes nicht vor.
1. Nach § 22 Nr. 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Unter einer polizeilichen Gefahr ist eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung führen würde. Dabei sind vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nicht nur die Individualrechtsgüter, wie Leib, Leben und Eigentum anderer erfasst, sondern auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.6.2008 – 6 C 21/07, juris Rn 13; OVG RP, Urt. v. 10.2.2010 – 7 A 11095/09, juris Rn 27; Rühle, Polizei- und Ordnungsrecht Rheinland-Pfalz, 9. Aufl. 2023, § 3 Rn 2 ff.). § 22 Nr. 1 POG enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.1974 – I C 31/72, juris Rn 32; OVG NRW, Beschl. v. 2.3.2021 – 5 A 942/19, juris Rn 40; Beschl. v. 24.3.2021 – 5 B 1884/20, juris Rn 9; VGH BW, Urt. v. 25.10.2012 – 1 S 1401/11, juris Rn 58). Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. OVG RP, Beschl. v. 25.3.2009 – 1 A 10632/08.OVG, juris Rn 26; Beschl. v. 30.10.2009 – 7 A 10723/09.OVG, juris Rn 28; Beschl. v. 26.8.2011 – 7 E 10858/11.OVG, ESOVGRP; Beschl. v. 8.5.2015 – 7 B 10383/15, juris Rn 11; OVG NRW, Beschl. v. 2.3.2021 – 5 A 942/19, juris Rn 40 f. m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 17.9.2015 – 10 CS 15.1435 u.a., juris Rn 21; OVG Bremen, Urt. v. 24.6.2014 – 1 A 255/12, juris Rn 25). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.1974 – I C 31/72, juris Rn 41).
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.2.1974 – I C 31/72, juris Rn 33; OVG RP, Urt. v. 10.2.2010 – 7 A 11095/09, juris Rn 35; OVG Nds., Urt. v. 25.6.2015 – 11 LB 34/14, juris Rn 34). Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex-ante-Sicht entscheidend (vgl. etwa VGH BW, Urt. v. 25.10.2012 – 1 S 1401/11, juris Rn 59). Auch für die der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsanordnung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist maßgeblicher Zeitpunkt der bei Vornahme der Sicherstellungsanordnung (stRspr. des Senats, vgl. etwa Beschl. v. 4.9.2018 – 7 B 10912/18.OVG, ESOVGRP; so auch OVG NRW, Beschl. v. 12.2.2007 – 5 A 1056/06, juris Rn 2 ff.; BayVGH, Urt. v. 23.2.2016 – 10 BV 14/2353, juris Rn 16; HessVGH, Beschl. v. 25.4.2018 – 8 B 538/18, juris Rn 21; OVG Bremen, Beschl. v. 4.6.2019 – 1 LB 225/18, juris Rn 40).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrades des Kl. getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Verhalten des Kl. v. 3.2.2022 überhaupt als Straftat nach § 315d StGB gewertet werden kann. Hierfür dürfte zum Zeitpunkt der Sicherstellung aus der Sicht der handelnden Polizeibeamten lediglich ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO bestanden haben. Selbst wenn die Polizeibeamten jedoch das Verhalten des Kl. als strafbar gemäß § 315d StGB hätten bewerten dürfen, so trägt dieser Umstand nicht die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr.
a) Zunächst ist festzuhalten, dass allein die Annahme des Bekl. – wie sie in seinem Schreiben vom 11.5.2022 an den Kl. zum Ausdruck kommt –, es könne "nicht ausgeschlossen werden", dass das Fahrzeug erneut zur Du...