Einführung
Besteht zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer des Schädigers Streit über den Umfang der Höhe des nach einem Verkehrsunfall zu ersetzenden Schadens in Form der Reparaturkosten, nachdem der Schaden repariert worden ist, stellt sich die Frage, inwieweit diese Einwendungen gegenüber dem Geschädigten wirksam erhoben werden können. Für den Fall einer tatsächlich durchgeführten Reparatur, bei welcher der Geschädigte die ihm gegenüber erstellte Rechnung der eingeschalteten Werkstatt bezahlt, hat der BGH in der Vergangenheit bereits einen umfassenden Schutz des Geschädigten unter Beachtung des sogenannten Werkstattrisikos entwickelt. Nunmehr liegen mehrere Entscheidungen des BGH vom 16.1.2024 vor, welche sich mit dem Fall einer durchgeführten, aber nicht durch den Geschädigten bezahlten Rechnung befassen und die Grundsätze des Werkstattrisikos für diese Fallgruppe für die nächsten Jahre prägen werden.
Diesen Erwägungen folgt auch das Urteil des BGH vom 12.3.2024, mit welchem dieselben Grundsätze auf das Verhältnis zwischen Geschädigten, den von ihm eingeschalteten Gutachter und dem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Schädigers übertragen werden. Diesem gegenüber zeigt die jüngst ergangene Entscheidung des BGH vom 23.4.2024, dass der Geschädigte auch weiterhin eine Plausibilitätskontrolle vornehmen muss. Diese grundlegenden Entscheidungen und ihre Auswirkungen auf die Praxis werden im Rahmen einer kritischen Würdigung mit diesem Beitrag dargestellt.
A. Die Entscheidungen des BGH vom 16.1.2024
Die mit Spannungen erwarteten Entscheidungen des BGH zu diesem Themenkreis wurden alle nach einer zeitgleichen Verhandlung am 16.1.2024 verkündet und haben jeweils unterschiedliche Fallgestaltungen zum Gegenstand.
I. Die Leitentscheidung: BGH, Urt. v. 16.1.2024 – VI ZR 253/22
Innerhalb dieser Urteile ist an erster Stelle auf die o.g. Entscheidung einzugehen, welche für eine Veröffentlichung in dem amtlichen Entscheidungsband des BGH vorgesehen ist und die wichtigsten Grundlagen darlegt, die sich auch in allen weiteren Entscheidungen des BGH vom gleichen Tag wiederfinden.
1. Zum Sachverhalt
Wie bei allen fünf Entscheidungen geht es um einen Schadensersatzanspruch nach einem Verkehrsunfall, welcher bei klarer Haftung gegenüber der gegnerischen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung geltend gemacht wird. Die Klägerin hatte in diesem Fall ihr Fahrzeug durch ein Sachverständigen begutachten lassen, der die Reparaturkosten mit gerundet 4.400 EUR geschätzt hat. Sodann wurde das Fahrzeug auf Basis des Gutachtens repariert. Die Beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung regulierte einen um gut 1.000,00 EUR (gerundet) reduzierten Betrag und stützte sich dabei auf die Einwendungen aus einem von ihr in Auftrag gegebenen Prüfbericht. Die Parteien stritten in der Folgezeit bei Gericht über die Höhe des zu ersetzenden Schadens. Seitens des Amtsgerichts wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, in welchem der Gutachter lediglich weitere Reparaturkosten in Höhe von lediglich 389,00 EUR für erforderlich gehalten hat. Entsprechend dem Gerichtsgutachten haben die Instanzgerichte der Klage lediglich zu einem Teil stattgegeben und ansonsten abgewiesen. Die Klägerseite hat ihre Ansprüche gegenüber der Beklagtenseite weiter verfolgt und dabei auch die Abtretung eines Regressanspruchs gegenüber der eingeschalteten Werkstatt an die Haftpflichtversicherung des Gegners angeboten.
2. Zur Entscheidung
Ihre Revision hatte beim BGH in der letzten Instanz Erfolg. Die wichtigste Kernaussage in der Entscheidung des BGH liegt dabei darin, dass sich der Geschädigte auch unter bestimmten Voraussetzungen bei einer unbezahlten Rechnung auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen kann. Übergibt der Geschädigte nämlich das beschädigte Fahrzeug einer Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne das ihn insoweit ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft, sind die dadurch angefallenen Reparaturkosten im Verhältnis Geschädigten zum Schädiger unter Berücksichtigung seiner eingeschränkten Fachkenntnis auch dann vollumfänglich zu ersetzen, wenn die Reparaturkosten wegen überhöhter Ansätze von Material und Arbeitszeit oder unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise als unangemessen und mithin nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB zu beanstanden sind.
Um in den Genuss dieser Schutzwirkung zu kommen, müssen allerdings weitere Voraussetzungen durch den Geschädigten beachtet werden: Anders als bei einer bezahlten Rechnung kann der Geschädigte sich zu seinen Gunsten nur auf dieses Werkstattrisiko berufen, wenn er eine Auszahlung gegenüber der Werkstatt verlangt. Wenn er dagegen eine Zahlung an sich selber verfolgt besteht ansonsten aus Sicht des BGH das Risiko, dass der Geschädigte vom Haftpflichtversicherer des Unfallgegners einen vollen Schadensersatz erhält, bei berechtigten Einwendungen des Haftpflichtversicherers dann aber im Verhältnis zur Werkstatt eine eigene Kürzung vornimmt und in diesem Fall ungerechtfertigt bereichert wäre. Deshalb muss aus Sicht des BGH bei einer unbezahlten Rechnung die Zahlung an die Werkstatt verfolgt werden, wenn der Geschädigte unter Berufung auf das Werksta...