OWiG § 71 Abs. 1 i.V.m. StPO § 267; VwZG § 8
Leitsatz
1. Enthält ein der Staatsanwaltschaft auf richterliche Verfügung zugestelltes Urt. keine Gründe, ist dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt. Die Ergänzung durch schriftliche Urteilsgründe ist unzulässig.
2. Die wirksame Zustellung eines Bußgeldbescheids an den Verteidiger setzt voraus, dass der Bußgeldbescheid erkennbar an ihn adressiert ist. Dieses Erfordernis ist jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn die Zustellung ausdrücklich an die Kanzlei als solche und ohne jeden namentlichen Hinweis auf den bevollmächtigten Verteidiger als Zustellungsempfänger erfolgt ist.
3. Der Zugang des formlos übersendeten Bußgeldbescheids an den Betroffenen i.V.m. der Unterrichtung über die an den Verteidiger veranlasste Zustellung heilt einen Zustellungsmangel beim Verteidiger nicht (a.A. OLG Saarbrücken zfs 2009, 469).
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Celle, Beschl. v. 30.8.2011 – 311 SsRs 126/11
Sachverhalt
Mit Bußgeldbescheid des Landkreises H-P vom 2.2.2011 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, am 4.12.2010 um 18:43 Uhr in S im B-weg an der Ein/Ausfahrt REWE als Führer eines Pkw durch Linksabbiegen in engem Bogen gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen und dadurch einen Unfall verursacht zu haben. Es wurde eine Geldbuße von 110 EUR festgesetzt. Dieser Bußgeldbescheid wurde mittels Postzustellungsurkunde an das "Rechtsanwaltsbüro D R G B" am 7.2.2011 zugestellt. In einem beiliegenden Schreiben wies der Landkreis darauf hin, dass dem Betroffenen nachrichtlich eine Abschrift des Bußgeldbescheides übersandt werde. Dem Rechtsanwaltsbüro gehört auch der vom Betroffenen mit der Verteidigung zuvor beauftragte und sich als Verteidiger zur Akte meldende Rechtsanwalt F an.
Am 14.2.2011 ging beim Landkreis ein vom Betroffenen persönlich unterschriebener Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Über Vermittlung der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren an das AG abgegeben, wo es am 6.4.2011 einging. Am 9.6.2011 verurteilte das AG den anwesenden Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot zu einer Geldbuße von 110 EUR.
Bereits am 10.6.2011 stellte der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Mit Verfügung vom 15.6.2011 übersandte das AG den Vorgang der Staatsanwaltschaft H "gem. § 41 StPO", ohne zuvor die Gründe des schriftlichen Urt. abzusetzen. Diese gelangten erst nach Rücksendung des Vorgangs am 5.7.2011 zur Geschäftsstelle des AG. Das mit Gründen versehene Urt. wurde dem Verteidiger am 6.7.2011 zugestellt. Mit einer am 2.8.2011 bei Gericht eingegangenen Rechtsbeschwerdebegründung rügt der Betroffene die Verletzung des materiellen Rechts und beruft sich darauf, dass der gegen ihn erhobene Vorwurf verjährt sei. Mangels wirksamer Zustellung des Bußgeldbescheides liege ein Verfolgungshindernis vor.
Das OLG lässt die Rechtsbeschwerde zu, hebt das Urt. des AG auf, stellt das Verfahren ein und ordnet an, dass die Landeskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt.
2 Aus den Gründen:
“ … II. … 1. Die Rechtsbeschwerde war nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zuzulassen, weil es geboten war, die Nachprüfung des Urt. zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. zu ermöglichen. Es galt, den im Folgenden dargestellten Rechtsfehlern entgegenzuwirken. § 80 Abs. 5 OWiG stand der Zulassung dabei nicht entgegen, da zum Einen die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch wegen eines Rechtsfehlers außerhalb der Verfolgungsverjährung und es zum Anderen gerade wegen dieser Frage geboten war, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, um eine Klärung herbeizuführen. (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rn 24).
2. Die sodann nach § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragene Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
a. Das angefochtene Urt. konnte bereits deshalb keinen Bestand haben, weil das der Staatsanwaltschaft auf richterliche Verfügung am 17.6.2011 zugestellte, für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht allein maßgebliche Urt. entgegen § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO keine Gründe enthält. Damit war dem Senat eine Überprüfung auf etwaige Rechtsfehler von vornherein verwehrt. Die Ergänzung durch die am 5.7.2011 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe war unzulässig und konnten damit nicht zum Gegenstand der Prüfung werden.
aa. Mit der Verfügung vom 15.6.2011 hat das AG die Zustellung des Urt. an die Staatsanwaltschaft veranlasst. Zwar lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht der mit Gründen versehene Urteilstext vor. Gleichwohl ist mit der Übersendung des Vorgangs “nach § 41 StPO’ bereits ein Urt. an die Staatsanwaltschaft zugestellt worden. Das am 9.6.2011 fertig gestellte Protokoll über die Hauptverhandlung beinhaltet nämlich alle für den Urteilskopf nach § 275 Abs. 3 StPO erforderlichen Angaben (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 275 Rn 24), nämlich die Bezeichnung des Tages der Sitzung, den Namen des Richte...