Die dem beigeordneten oder bestellten Rechtsanwalt in § 46 Abs. 2 S. 1 RVG eröffnete Möglichkeit, vorab eine gerichtliche oder behördliche Feststellung darüber zu erwirken, dass Reiseauslagen erforderlich sind, ist – wie der Fall des OLG Celle zeigt – auch so manchem Gericht nicht bekannt. Ärgerlich ist es, dass die auch aus Gesetzesunkenntnis ergangene Entscheidung der Strafkammer nicht anfechtbar ist.
Noch weniger bekannt ist, dass der Rechtsanwalt eine solche Entscheidung auch für andere Auslagen nach § 670 BGB beantragen kann (§ 46 Abs. 2 S. 3 RVG). Die gerichtliche Entscheidung, dass eine Reise oder der Aufwand anderer Auslagen erforderlich war, befreit den Rechtsanwalt einigermaßen von der Gefahr, diese Auslagen aus eigener Tasche zahlen zu müssen, wenn später der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG diese Auslagen nicht als erforderlich i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG ansieht. Denn die positive Entscheidung über den Antrag nach § 46 Abs. 2 S. 1 und 3 RVG ist für das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG bindend (s. § 46 Abs. 2 S. 1 RVG). Diese Bindungswirkung tritt allerdings hinsichtlich der Erforderlichkeit der Reise oder sonstiger Auslagen nur dem Grunde nach ein. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ist hierdurch nicht gehindert, im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG einzelne Reiseauslagen – etwa die höheren Auslagen für ein Flugticket gegenüber den Auslagen für die Bahnfahrt – als nicht erforderlich anzusehen.
Hingegen tritt eine Bindungswirkung nicht – wie das OLG Celle wohl unbedacht formuliert hat – auch für das Kostenfestsetzungsverfahren – etwa nach §§ 103 ff. ZPO oder § 464b StPO – ein. Dort entscheidet der Rechtspfleger, ob die Aufwendungen des erstattungsberechtigten Beteiligten notwendig i.S.v. § 91 ZPO waren und deshalb von der erstattungspflichtigen Gegenpartei – im Strafprozess kann dies die Staatskasse sein – zu erstatten sind. In den Fällen des § 46 Abs. 2 RVG betrifft dies allein das Verhältnis zwischen beigeordnetem oder bestelltem Rechtsanwalt und der Staatskasse.
Demgegenüber hat die negative Entscheidung des Gerichts für das Festsetzungsverfahren keine Bindungswirkung. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle kann deshalb im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG die Erforderlichkeit der Reiseauslagen oder anderer Auslagen selbst dann bejahen, wenn dies das Gericht im Verfahren nach § 46 Abs. 2 RVG zuvor verneint hat. In der Praxis wird jedoch der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle kaum einmal von der Auffassung des Gerichts abweichen. Dies gilt schon deshalb, weil derselbe Spruchkörper im Regelfall auch für die Entscheidung über die Erinnerung der Staatskasse nach § 56 Abs. 1 RVG gegen die Festsetzung zuständig ist, wenn hierfür nicht aufgrund der Geschäftsverteilung ein anderer Spruchkörper des Gerichts zuständig ist.
Der Antrag nach § 46 Abs. 2 RVG hat an praktischer Bedeutung dadurch etwas verloren, dass der bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt hinsichtlich der voraussichtlich entstehenden Auslagen gem. § 47 Abs. 1 S. 1 RVG von der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern kann, der dann nach § 55 Abs. 1 RVG von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf Antrag des Rechtsanwalts festgesetzt wird. Diese Entscheidung steht allerdings unter dem Vorbehalt der Nachforderung des Rechtsanwalts, wenn der bewilligte Vorschuss nicht ausreicht, aber auch unter dem Vorbehalt der Rückforderung seitens der Staatskasse, wenn der ausgezahlte Vorschuss sich später als überhöht erweist (s. AnwK RVG-Fölsch/Schnapp, 6. Aufl., § 47 RVG Rn 19 u.20). Da mit der Auszahlung des Vorschusses keine Bindungswirkung eintritt, ist die Staatskasse auch nicht gehindert, den Vorschuss zurückzufordern oder ihn auf andere Gebühren und/oder Auslagen zu verrechnen, wenn sie später die Auffassung vertritt, der Aufwand der Reiseauslagen oder der sonstigen Auslagen, für die der Vorschuss gezahlt wurde, sei doch nicht erforderlich i.S.v. § 46 Abs. 1 RVG gewesen. Insoweit bietet nur eine positive Entscheidung des Gerichts nach § 46 Abs. 2 RVG dem Rechtsanwalt eine einigermaßen ausreichende Sicherheit dafür, dass er später seine Auslagen aus der Staatskasse ersetzt erhält.
Heinz Hansens