VGB 2008 Teil B § 8 Nr. 3a i.V.m. Nr. 2a gg; VVG § 6 Abs. 4 § 28 Abs. 2
Leitsatz
1. Die Obliegenheit, die Schadenstelle unverändert zu lassen, ist eine spontan zu erfüllende Obliegenheit, über die nicht nach § 28 Abs. 4 VVG zu belehren ist.
2. An einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit, die Schadenstelle bis zu einer Freigabe unverändert zu lassen, fehlt es, wenn der VR in seiner Schadenanzeige dazu auffordert, die Schadenstelle möglichst bis zu einer Besichtigung unverändert zu lassen, und eine Besichtigung durch einen Versicherungsvertreter erfolgt ist.
3. Verletzt der VR seine dann bestehende Pflicht, den VN darauf hinzuweisen, dass er noch eine Begutachtung durch einen Sachverständigen für erforderlich halte, beruht die Veränderung der Schadenstelle auf einer dem VR vorwerfbaren Beweisvereitelung.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.9.2012 – 5 U 68/12
Sachverhalt
Die gegen Elementarschäden bei der Bekl. versicherte Kl. meldete der Bekl. am 3.1.2011 einen Schaden durch Schneedruck, aufgrund dessen fortdauernd Schmelzwasser über ein eingedrücktes Vordach in ihr Anwesen eindringe. Ein Versicherungsvertreter der Bekl. besichtigte daraufhin den Schaden, fertigte Fotos an, nahm eine Schadenanzeige auf und bat die Kl. um einen Kostenvoranschlag. Als er eintraf leitete er die Schadenanzeige an die Bekl. weiter, die daraufhin – vier Wochen nach der Schadensmeldung – einen Sachverständigen zur Kl. entsandte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kl. allerdings bereits mit Instandsetzungsarbeiten begonnen, sodass Feststellungen zur Schadensursache nicht mehr möglich waren.
2 Aus den Gründen:
“ … 1. Die Bekl. ist nicht wegen Verletzung einer nach dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheit ganz oder teilweise gem. § 8 Nr. 3a) i.V.m. Nr. 2a) gg) VGB Teil B i.V.m. § 28 Abs. 2 VVG von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei geworden.
a. Allerdings hat die Bekl. ihre versicherungsvertragliche Obliegenheit, das “Schadenbild so lange unverändert zu lassen, bis die Schadenstelle oder die beschädigten Sachen durch den VR freigegeben worden sind’, objektiv verletzt, weil eine Freigabe durch die Bekl. nicht erfolgt ist.
Der Bekl. wäre es insoweit – entgegen der Meinung des LG – nicht deshalb versagt sich auf vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit zu berufen, weil es an der durch § 28 Abs. 4 VVG gebotenen Belehrung fehlt. Es trifft zwar zu, dass es nach dem Formular der Bekl. zur Schadenanzeige an einer formell und materiell den Anforderungen des Gesetzes entsprechenden Belehrung fehlt: Der Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist im Fließtext der Schadensanzeige enthalten und drucktechnisch in keiner Weise hervorgehoben. Die Belehrung ist also nicht, wie § 28 Abs. 4 VVG es verlangt, abgesondert. Darüber hinaus ist die Belehrung inhaltlich unzulänglich, weil es an einem Hinweis auf den der Kl. eröffneten Kausalitätsgegenbeweis fehlt.
Einer Belehrung bedurfte es aber gar nicht. Die Obliegenheit, die Schadenstelle unverändert zu lassen, entsteht im Zeitpunkt des Versicherungsfalls von selbst, setzt kein besonderes Verlangen des VR voraus und stellt daher eine spontan zu erfüllende besondere Aufklärungsobliegenheit dar, auf die § 28 Abs. 4 VVG bei seinem Sinn entsprechender Auslegung nicht anwendbar ist (Römer/Langheid/Rixecker, 3. Aufl., § 28 Rn 105).
c. Die vollständige oder teilweise Leistungsfreiheit der Bekl. würde auch nicht daran scheitern, dass es der Kl. gelungen wäre, das Fehlen jeden Einflusses ihrer Obliegenheitsverletzung auf die Feststellung des Eintritts oder des Umfangs der Leistungspflicht auszuschließen (§ 28 Abs. 3 VVG). Das folgt schon daraus, dass jedenfalls zum – maßgeblichen – Zeitpunkt der Regulierungsentscheidung des VR – nämlich der Ablehnung von Leistungen – aufgrund des Abrisses des Vordachs nicht uneingeschränkt fest stand, ob der Versicherungsfall Schneedruck eingetreten war oder ob Vorschäden zu dem Wassereintritt in den darunter liegenden Räumen geführt oder beigetragen hatten.
d. Die Bekl. hat ihre Obliegenheit jedoch weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt. Von einem vorsätzlichen Verhalten eines VN ist auszugehen, wenn – was der VR zu beweisen hat – fest steht, dass ihm die ihn treffende Verhaltensnorm bekannt war und er sie missachten wollte (BGH VersR 1993, 830). Dafür fehlt es schon deshalb an Anhaltspunkten, weil die Obliegenheit des § 8 Nr. 2a) gg) VGB 2008 Teil B in der der Kl. überreichten Schadenanzeige inhaltlich erheblich verändert wiedergegeben war und die Kl. sich daher von vornherein im Unklaren darüber sein durfte, weiches Verhalten von ihr erwartet wurde. Dort ist nämlich die Aufforderung enthalten, die Schadensstelle “möglichst’ so lange unverändert zu lassen, bis “eine Besichtigung erfolgt’ ist. Ähnliche Formulierungen werden von der Rspr. (OLG Hamm VersR 2009, 395) zwar lediglich dahin verstanden, dass sie dem VN kein Belieben eröffnen und nur in Ausnahmefällen eine Veränderung der Schadensstelle als vertragskonform hingenommen...