VVG § 127 § 129
Leitsatz
Eine Klausel in den ARB, nach denen bei Vereinbarung einer je nach Schadenhäufigkeit variierenden Selbstbeteiligung ein Vertrag als schadenfrei gilt, wenn der VN einen vom VR empfohlenen Rechtsanwalt wählt, ist unwirksam.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Bamberg, Urt. v. 20.6.2012 – 3 U 236/11
Sachverhalt
Die Kl., … , macht gegenüber der Bekl., … , Ansprüche nach dem Unterlassungsklagegesetz und wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche geltend. Insb. streiten die Parteien um die Wirksamkeit zweier Klauseln in den Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung der Bekl. Ihnen liegen die ARB 2009 zugrunde, die im Versicherungsfall eine variable Selbstbeteiligung vorsehen. Mit Abschluss des Vertrags wird der Versicherte in eine "SF-Klasse 0" mit einer Selbstbeteiligung von 150 EUR eingestuft. Bei einem schadenfreien Verlauf gelangt der Versicherte in eine ihm günstigere SF-Klasse, wobei sich diese Selbstbeteiligung nach zwei schadenfreien Vertragsjahren auf 100 EUR bzw. nach 4 schadenfreien Vertragsjahren auf 50 EUR reduziert und nach sechs schadenfreien Vertragsjahren schließlich ganz entfällt. Bei einem schadenbelasteten Verlauf hingegen wird der Versicherte nach Maßgabe der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Bekl. unter § 5a Abs. 6b ARB 2009 aufgeführten Tabelle in eine Klasse mit höherer Selbstbeteiligung zurückgestuft. Die variable Selbstbeteiligung beträgt somit zwischen 0 EUR und 300 EUR.
In § 5a Abs. 5 ARB 2009 ist der schadenfreie bzw. der schadenbelastete Verlauf definiert. Hiernach liegt ein schadenfreier Verlauf des Vertrags vor, wenn der Versicherungsschutz von Anfang bis Ende eines Versicherungsjahres bestanden hat und der VR in dieser Zeit für keinen Rechtsschutzfall eine Deckungszusage erteilt hat und keine Maßnahmen eingeleitet sind, die ein Kostenrisiko gem. § 5 ARB 2009 auslösen (z.B. Beauftragung eines RA, Einreichung einer Klage). Der Vertrag gilt aber auch dann als schadenfrei, wenn der Rechtsschutzfall durch eine Erstberatung abgeschlossen ist oder wenn ein RA aus dem Kreis der aktuell vom VR empfohlenen RAe beauftragt wird (§ 5a Abs. 5a) bb) ARB 2009). In entsprechender Weise ist der schadenbelastete Verlauf des Vertrags in § 5a Abs. 5b) bb) ARB 2009 definiert. In Umsetzung dieser Regelung beantwortet die Bekl. Deckungsanfragen ihrer VN wie folgt:
"Es steht Ihnen frei, zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen in dieser Angelegenheit einen RA Ihrer Wahl zu beauftragen. Wir möchten Ihnen hierfür die Kanzlei empfehlen. Folgen Sie unserer Anwaltsempfehlung und beauftragen Sie die genannte Kanzlei, entfällt die Rückstufung Ihrer Schadenfreiheitsklasse. Dadurch vermeiden Sie eine höhere Selbstbeteiligung im nächsten Rechtsschutzfall … "
2 Aus den Gründen:
“ … II. 2. Die Unterlassungsklage ist auch begründet.
a) Anspruch der Kl. aus § 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG
Die Kl. verlangt zu Recht gem. § 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG von der Bekl., die Verwendung der unter § 5a Abs. 5a) bb) und b) bb) ihrer Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen (ARB 2009) geregelten Klausel insoweit zu unterlassen, als bei Beauftragung eines seitens der Bekl. empfohlenen RA ein schadenfreier Verlauf fingiert wird. Diese Fiktion eines schadenfreien Versicherungsverlaufs stellt sich als Belohnung des Versicherten für die Wahl eines aus dem Kreis der von der Bekl. empfohlenen RA dar, die sich bei einem möglicherweise folgenden Versicherungsfall in einer niedrigeren Selbstbeteiligung auswirkt.
Bestimmungen in AGB sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Eine unangemessene Benachteilung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Verknüpfung der Wahl eines von der Bekl. empfohlenen Anwalts mit dem Vorteil, trotz Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung nicht in eine ungünstigere Schadenfreiheitsklasse zurückgestuft zu werden, verstößt gegen §§ 127, 129 VVG.
aa) Rechtliche Grundlage der Beurteilung sind die im VVG v. 23.11.2007 (VVG 2008) normierten Vorschriften des § 127 und § 129 VVG, die ihren Vorgängervorschriften der § 158m und § 158o VVG inhaltsgleich entsprechen, und die hierzu ergangene Judikatur.
(1) Gem. § 127 VVG ist der VN berechtigt, den RA, der seine Interessen sowohl in Gerichts- und Verwaltungsverfahren als auch außergerichtlich wahrnehmen soll, aus dem Kreis der RAe, deren Vergütung der VR nach dem Versicherungsvertrag trägt, frei zu wählen. Gem. § 129 VVG kann von dieser Vorschrift nicht zum Nachteil des Versicherten abgewichen werden. Hiermit wird dem VN in Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 87/344/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung die freie Anwaltswahl garantiert.
(2) In seinem noch vor Umsetzung der EG-Richtlinie ergangenen Urt. v. 26.10.1989 (NJW 1990, 578) hat der BGH die Bedeut...