GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 286
Leitsatz
Das Gericht verletzt die Prozesspartei in ihrem Recht auf rechtliches Gehör, wenn es ihren Vortrag zur Würdigung einer Zeugenaussage in keiner Weise verarbeitet.
BGH, Beschl. v. 31.7.2013 – VII ZR 11/12
Sachverhalt
Die Kl. haben die beklagte Betreiberin eines Theaters auf Zahlung erbrachter Architekturleistungen im Zusammenhang mit einem Theaterumbau in Anspruch genommen. Das BG hat die Vergütungsforderung der Kl. mit der Begründung gekürzt, insoweit stehe der Bekl. ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Planung zu; auf den entgegen stehenden Vortrag der Kl. in der Berufungsbegründung und die dem von dem BG angenommenen Beweiswürdigung entgegen stehenden Bekundungen von Zeugen in der ersten Instanz ging das BG nicht ein. Die Begründung des Aufrechnungsanspruchs erschöpfte sich in einem Halbsatz.
Der BGH sah in dieser Beweiswürdigung einen Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und hob auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Kl. das angefochtene Urt. insoweit auf, als die Klage wegen der Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch abgewiesen worden ist.
2 Aus den Gründen:
[8] "… 1. Das BG hat ausgeführt, die Kl. hafteten aufgrund eines Planungsverschuldens nach §§ 635, 249 ff. BGB a.F. Die von ihnen mit der Berufung nicht mehr bestrittene Sichtbehinderung stelle einen Mangel dar. Die Bekl. müsse sich kein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Jedenfalls hätten die hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Kl. ein anspruchsminderndes oder anspruchsausschließendes Mitverschulden nicht bewiesen. Dass die Bekl. in Kenntnis des Problems keinen Baustopp veranlasst habe, begründe kein Mitverschulden. Denn nach den glaubhaften Aussagen der Zeugen G. und J. sei zum Zeitpunkt der Kenntnis der Rang bereits fertiggestellt gewesen."
[9] 2. Die Beweiswürdigung des BG zu der Frage, ob der Rang bereits fertiggestellt war, als die Bekl. Kenntnis von der mangelhaften Planung erhielt, genügt nicht den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO, berücksichtigt nicht den Vortrag der Kl. und verletzt damit deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG.
[10] a) Die Nachprüfung der Beweiswürdigung in der Revisionsinstanz beschränkt sich darauf, ob der Tatrichter in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Streitstoff umfassend, rechtlich möglich, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze gewürdigt hat (BGH, Urt. v. 7.3.2013 – VII ZR 134/12, BauR 2013, 952 Rn 14 = NZBau 2013, 295 Rn 14 = ZfBR 2013, 355). Hier fehlt es an einer umfassenden Würdigung des Streitstoffes. Die nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO erforderliche Begründung erschöpft sich in einem Halbsatz. Das BG hat die Zeugenaussagen weder vollständig noch zutreffend erfasst. Der Vortrag der Kl. in der Berufungsbegründung wird nicht erwähnt, ebenso wenig wie die dem Beweisergebnis des BG entgegenstehenden Aussagen des Zeugen J. in seiner zweiten Befragung am 26.9.2009 und des Zeugen S. vom 15.10.2008.
[11] b) Da das BG den zur Beweiswürdigung gehaltenen Vortrag der Kl. in der Berufungsbegründung in keiner Weise verarbeitet hat, ist anzunehmen, dass das BG die Ausführungen der Kl. nicht zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht in Erwägung gezogen hat, was einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG begründet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.5.2012 – 1 BvR 1999/09, juris Rn 14).
[12] c) Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das BG bei umfassender Würdigung aller wesentlichen Umstände zu dem Ergebnis gelangt, die Bekl. habe bereits zu einem Zeitpunkt Kenntnis von der Sichtbehinderung erlangt, als der Rang noch nicht fertig gestellt war.
[13] 3. Das Berufungsurteil war daher gem. § 544 Abs. 7 ZPO teilweise aufzuheben und die Sache an das BG zurückzuverweisen.
[14] Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass das BG, sollte es auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen ankommen – was nahe liegt –, diese erneut zu vernehmen haben wird.“
3 Anmerkung:
Der aus Art. 103 Abs. 1 GG abgeleiteten Begründungspflicht von gerichtlichen Entscheidungen häufig angeführte Grundsatz, dass keine Pflicht des Gerichts bestehe, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich auseinander zu setzen (vgl. BVerfGE 54, 86, 91 f.; BVerfGE 115, 166, 180) wird schon dadurch eingeschränkt, dass der Betr. nur bei Erörterung seines Vorbringens die Entscheidungsfindung nachvollziehen kann, insb., ob sein Vorbringen von dem Gericht zur Kenntnis genommen und überprüft worden ist (vgl. Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 103 GG Rn 32 und 58). Aus diesem Grunde sind Freistellungen von der Begründungspflicht verfassungsrechtlich zweifelhaft (vgl. Kornblum, ZRP 99, 382 zu § 495a ZPO). Neben der Erstreckung der Begründungspflicht auf die für die Beurteilung des Rechtsstreits wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerfGE 47, 182, 189; BVerfG-Kammer NJW 1996, 2786) ist auch zu begründen, weshalb von einer höchstrichterlichen Rspr. abgewichen wird (BVerfG-Kammer NJW 1997, 187) und auch, weshalb kein Sachverständigengutachten eingeholt wurde (BV...