Zur Frage sachverständiger Fernbegutachtung
Ein Wunder, dass Fahrzeuge zur Verursachung eines Unfallschadens noch tatsächlich zusammenstoßen müssen. Denn alles andere läuft inzwischen digital. Dass Versicherer versuchen, die zunehmende Digitalisierung dafür zu nutzen, Anwälte und Sachverständige zum Nachteil des Geschädigten und seiner Dienstleister aus der Schadenkommunikation und -bearbeitung herauszuhalten, ist bekannt und trägt so klangvolle Namen wie Fair Play oder QuickRKÜ. In den letzten Jahren sind aber auch findige Sachverständige auf Ideen gekommen, die Fortschritte des digitalen Zeitalters für sich zu nutzen. Derzeit machen sachverständige Fernbegutachtungen von sich Reden und beschäftigen die Rechtsprechung. Hierbei stellen Gutachter Autohäusern ein Kamerasystem zur Verfügung, über das Schadengutachten von Ferne erstellt werden können. Ein Werkstattmitarbeiter des Autohauses filmt das beschädigte Fahrzeug mit Detailaufnahmen des Schadens ab, die von einem Sachverständigen aus der Ferne analysiert werden.
Naheliegender Weise ist die Verwertbarkeit der auf diese Art erstellten Gutachten in Streit geraten, nicht zuletzt auch unterstützt durch jene Sachverständige, die noch mühselig vor Ort erscheinen. So kam das AG Dachau zu dem Urteil (v. 30.1.2013 – 3C 1146/10), das in dem dortigen Rechtsstreit vorgelegte Gutachten eines derart arbeitenden Sachverständigenbüros weise erhebliche Mängel auf und sei damit für eine fiktive Abrechnung nicht verwertbar. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hatte ausgeführt, die verwendete Videotechnik stelle in keiner Weise eine den Regeln der Technik entsprechende Art zur Schadenbegutachtung dar. Zudem sei die Kamera aufgrund ihrer mangelhaften Qualität ungeeignet. Dem hatte sich das Gericht angeschlossen. Die Unverzichtbarkeit der persönlichen Inaugenscheinnahme durch den Sachverständigen selbst, also das Erfordernis der höchstpersönlichen Besichtigung wurde auch durch das AG Freudenstadt (Urt. v. 11.10.2012 – 4C 607/11) bestätigt. Es urteilte:
"Die Kosten für das von der Klägerin vorgelegte Gutachten des Ingenieurbüros sind nicht erstattungsfähig. Wie der (gerichtliche) Sachverständige in seinem Gutachten ausführlich begründet und vom Gericht nachvollzogen dargelegt hat, ist ein auf dieser Grundlage erstelltes Gutachten aufgrund der vom Sachverständigen ausführlich dargelegten Schwächen ungeeignet zur Frage der Schadenerstattung. Dies gelte erst recht dann, wenn aufgrund des Alters des Fahrzeugs neben dem Schadensumfang zur Festsetzung des merkantilen Minderwerts auch der Gesamtzustand des Fahrzeugs und die Unfallfreiheit beurteilt werden solle."
Zu einem anderen Ergebnis kam indes das AG Böblingen (Urt. v. 27.2.2013 – 20 C 2445/12) in einem Fall desselben Sachverständigenbüros: "Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass das Gutachten zur Frage der Schadensermittlung ungeeignet sei, kann dem nicht gefolgt werden." Allein die Tatsache, dass der Sachverständige nach einem Fernbegutachtungs-System vorgegangen sei, lasse das Gutachten ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht als ungeeignet zur Schadensberechnung erscheinen.
Allerdings hatte es die Beklagte in dem dortigen Rechtsstreit versäumt, genauer vorzutragen, inwieweit sie die gutachterlichen Feststellungen für ungenügend zur Schadensabrechnung hält, so dass das Urteil des AG Böblingen auch in dem dürftigen Parteivorbringen seine Ursache haben könnte.
Festzustellen ist, dass die Verwertbarkeit derartiger Gutachten derzeit umstritten ist und wir hier möglicherweise doch an die Grenzen des Digitalen gestoßen sind.
Es ist auch fraglich, ob die Sachverständigen sich mit diesem Weg der Gutachtenerstellung einen Gefallen tun, da den Versicherern schon gleich wieder Argumente einfallen, warum dies nur belegt, dass auf die Inaugenscheinnahme durch einen frei gewählten Gutachter eigentlich ganz verzichtet werden könne.
Autor: Dr. Daniela Mielchen
RAin Dr. Daniela Mielchen, FAin für Verkehrsrecht, Hamburg
zfs 11/2013, S. 601