StPO § 244 Abs. 3 S. 2; ZPO § 128a Abs. 2; ZPO § 363 Abs. 3; BGB § 31 § 89
Leitsatz
1. "Unerreichbar" ist ein im Ausland geladener Zeuge nicht schon dann, wenn er auf eine Ladung zur Beweisaufnahme nicht erscheint.
2. Das Verhalten eines "faktischen" Organs ist einem VN nicht anders als jenes eines wirklichen zuzurechnen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 24.6.2013 – IV ZR 110/12
Sachverhalt
Mit einer vorweggenommenen Deckungsklage begehrt die Kl. die Feststellung, dass die Bekl. als Rechtsnachfolgerin des Verkehrshaftung-VR der P GmbH verpflichtet ist, ihrer VN wegen des Abhandenkommens von fünf Lastwagenladungen mit Druckern und Druckpatronen des Herstellers H im Gesamtwert von etwa 540.000 EUR Deckungsschutz zu gewähren. Die Kl. hatte es als Spediteurin im Juni 2007 übernommen, den Transport der genannten Waren an Kunden des Herstellers in den Niederlanden und Großbritannien zu organisieren. Dazu hatte sie die K beauftragt, die ihrerseits die VN als Subunternehmerin eingesetzt hatte.
Die fünf Lastwagenladungen erreichten ihren Bestimmungsort nicht, weil unstreitig der bei der VN tätige Zeuge A nach einem mit Mittätern vorgefassten Plan veranlasst hatte, dass das Transportgut am 29.6.2007 in D auf andere LKW-Anhänger zu dem Zweck verladen und beiseite geschafft wurde, um die Ladung als gestohlen zu melden und in Wahrheit anderweitig zu verkaufen. Teile der Ladung konnten von der Polizei in B sichergestellt werden.
Die Kl. verpflichtete sich gegenüber H im Vergleichswege zur Leistung von Schadensersatz i.H.v. 450.000 EUR. Die K trat ihre Schadensersatzansprüche gegen die inzwischen insolvente VN an die Kl. ab. Der Insolvenzverwalter bestreitet diese zur Insolvenztabelle angemeldete Schadensersatzforderung in voller Höhe. Die Kl. macht ein eigenes Interesse geltend, die Eintrittspflicht der Bekl. gegenüber der VN gerichtlich feststellen zu lassen.
In der Sache streiten die Parteien vorwiegend darüber, inwieweit das Verhalten des Zeugen A sowohl bei Abschluss des Versicherungsvertrags als auch bei der Verschiebung des Transportgutes der VN zuzurechnen ist.
2 Aus den Gründen:
[8] "… III. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Bekl. führt zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urt. und Zurückverweisung der Sache an das BG gem. § 544 Abs. 7 ZPO. Dieses hat den Anspruch der Bekl. auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es deren Antrag auf Vernehmung des Zeugen T übergangen hat."
[9] 1. Die Bekl. hat unter anderem eingewandt, sie sei leistungsfrei, weil die VN den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt habe. Insoweit ist entscheidend, inwieweit der VN das Verhalten des Zeugen A zugerechnet werden kann. Die Bekl. hat sich insoweit das wesentliche Ermittlungsergebnis aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft D als Vortrag zu Eigen gemacht. Danach soll, obwohl offiziell der Zeuge T und die damalige Freundin und jetzige Ehefrau des Zeugen A zu Geschäftsführern der VN berufen worden waren, in Wahrheit der Zeuge A als faktischer Geschäftsführer für die VN verantwortlich gewesen sein. Auf Antrag der Bekl. hat das BG deshalb mit Beschl. v. 12.9.2011 unter anderem die Vernehmung des Zeugen T angeordnet und im Wege der Rechtshilfe seine Ladung an seinem niederländischen Wohnsitz veranlasst.
[10] 2. Von der Vernehmung des Zeugen, auf dessen Aussage es nach der Lösung des BG ankam, durfte es nicht absehen. Sie ist nur deshalb unterblieben, weil der Zeuge trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne Angabe von Gründen nicht vor Gericht erschienen ist. Zu Unrecht hat das BG den Zeugen schon deshalb als unerreichbar angesehen. Zwar findet die Vorschrift des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO im Zivilprozessrecht entsprechende Anwendung … , jedoch sind an die Annahme der Unerreichbarkeit eines Zeugen strenge Anforderungen zu stellen. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit des Zeugen ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Gericht unter Beachtung seiner Aufklärungspflicht alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und keine begründete Aussicht besteht, das Beweismittel in absehbarer Zeit beizubringen (vgl. BGH BGHZ 168, 79 Rn 25 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn das Gericht wie hier seine Nachforschungen auf die Verfügbarkeit des Zeugen am Terminstage beschränkt hat und nicht der Frage nachgegangen ist, ob er in absehbarer Zeit vernommen werden kann. … Hier hat sich das BG nicht einmal bemüht, herauszufinden, ob dem Nichterscheinen des Zeugen eine grds. Weigerung, vor Gericht auszusagen, zugrunde lag oder lediglich eine sonstige Verhinderung. Im Übrigen hat es nicht geprüft, ob der Zeuge außerhalb der Gerichtsstelle im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 128a Abs. 2 ZPO) oder auch durch die Mitglieder des Prozessgerichts in den Niederlanden hätte vernommen werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 1.7.2010 – V ZR 238/09, juris Rn 7). Insb. die von § 363 Abs. 3 ZPO i.V.m. Art. 17 der Verordnun...