StVO § 1 Abs. 2 § 14 Abs. 1 § 35 Abs. 6
Leitsatz
Fährt ein Verkehrsteilnehmer an einem Baustellenfahrzeug mit weiß-rot-weißen Warneinrichtungen, Warnblinklicht und eingeschalteter Rundumleuchte vorbei, muss er auch ein weites Öffnen der Tür in Betracht ziehen und seinen Seitenabstand entsprechend wählen.
(Leitsatz des Einsenders)
LG Saarbrücken, Urt. v. 17.4.2014 – 13 S 24/14
Sachverhalt
Die Kl. macht die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung von Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Der Lkw der Kl. war mit eingeschalteter Warnblinkanlage und Rundumleuchte im Rahmen einer Baustelleneinrichtung am rechten Straßenrand abgestellt. Als der Bekl. zu 2) mit dem Kfz des Bekl. zu 1) an dem Lkw vorbeifuhr, kam es zu einem Zusammenstoß zwischen der Fahrertür des Lkw und dem Fahrzeug des Bekl. zu 1). Mit der Behauptung, der Fahrer des Lkw habe in der geöffneten Tür gestanden, als der Bekl. zu 2) mit überhöhter Geschwindigkeit und unzureichendem Abstand an dem Lkw vorbeigefahren sei und damit die Kollision verursacht habe, hat die Kl. die ihr unfallbedingt entstandenen Reparaturkosten und Sachverständigenkosten geltend gemacht. Die Bekl. haben behauptet, zu dem Unfall sei es gekommen, weil die Fahrertür des Lkw von innen geöffnet worden sei. Das AG hat die Klage abgewiesen und ein allein unfallursächliches Verschulden eines Beschäftigten der Kl. beim Ein- und Aussteigen aus dem Lkw für unfallursächlich gehalten. Für nicht nachgewiesen hat es angesehen, ob der Bekl. zu 2) den geforderten Mindestabstand des von ihm gefahrenen Fahrzeugs zu dem Lkw eingehalten habe. Die Kl. verfolgt ihr Klagebegehren mit der Berufung im hälftigen Umfang weiter. Sie meint, das AG habe verkannt, dass das Fahrzeug der Kl. nach § 36 Abs. 6 S. 1 privilegiert gewesen sei und der Bekl. zu 2) die nach § 1 Abs. 2 StVO gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen habe. In seiner abändernden Entscheidung ging das LG von einer Haftungsverteilung von ⅓ zu ⅔ zu Lasten der Kl. aus.
2 Aus den Gründen:
" … 1. Das Erstgericht ist zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Kl. als auch die Bekl. grds. für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und sich für keinen der unfallbeteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies ist zutreffend und wird von der Berufung nicht in Frage gestellt."
2. Im Rahmen der danach gem. § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensanteile hat das Erstgericht zulasten der Kl. angenommen, dass der Zeuge … entgegen § 14 Abs. 1 StVO nicht die beim Ein- oder Aussteigen gebotene Sorgfalt beobachtet hat. Hiergegen wendet sich die Berufung ohne Erfolg.
a) Nach § 14 Abs. 1 StVO muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die den Ein- oder Aussteigenden treffende höchste Sorgfaltspflicht gebietet es dabei, die Fahrzeugtür erst dann zu öffnen, wenn sich der Verkehrsteilnehmer durch Beobachtung nach hinten vergewissert hat, dass niemand kommt (vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2009 – VI ZR 316/08, VersR 2009, 1641; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 14 StVO Rn 6 m.w.N.; Diehl, zfs 2006, 201 m.w.N.). Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. BGH, a.a.O. m.w.N.; KG DAR 2004, 585; OLG Hamm MDR 2000, 82 f.; Kammerurteil v. 18.10.2013 – 13 S 121/13; Hinweisbeschl. v. 19.12.2012 – 13 S 178/12 und v. 28.1.2010 – 13 S 228/09).
b) Zu Recht hat das Erstgericht vorliegend ein Aussteigen des Zeugen … bejaht. Dabei ist es hier nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht offen gelassen hat, ob der Zeuge … die Fahrertür von innen öffnete um auszusteigen, oder ob er sie von außen öffnete, um seine Arbeitshandschuhe aus dem Fahrzeug zu holen, ohne sich dabei selbst mit seinem gesamten Körper wieder in das Fahrzeug hinein zu begeben. Unter den hier gegebenen Umständen wäre § 14 Abs. 1 StVO auch in letzterem Fall anwendbar. Denn das Herausholen von Gegenständen aus dem Fahrzeug ist jedenfalls dann noch Teil des Ein- oder Aussteigens, wenn es noch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang erfolgt (vgl. BayObLG DAR 1990, 31; LG Berlin Schaden-Praxis 2011, 429 f.). Das Aussteigen ist danach noch nicht beendet, solange die von ihm ausgehende Gefahr noch nicht vollständig beseitigt ist, etwa weil der Fahrer nach dem Schließen der Tür noch eine weitere Tür öffnet oder die Fahrbahn noch nicht verlassen hat (vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2009 a.a.O. m.w.N.; OLG Hamburg OLGR Hamburg 2005, 84 f.). So liegt der Fall hier. Denn der Zeuge … bekundete, er sei nach hinten gegangen, und als er in Höhe des Lkw gewesen sei, habe er b...