BGB § 253; StVG § 7 § 17; StVO § 1 § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; VVG § 115
Leitsatz
Erleidet ein 47 Jahre alter Geschädigter bei einem Verkehrsunfall schwere Hirnverletzungen, die ein apallisches Syndrom zur Folge haben, das sechs Monate später den Tod des Verletzten nach sich zieht, ist unter Berücksichtigung einer Mitverantwortung des Geschädigten ein Schmerzensgeld von 45.000 EUR angemessen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Naumburg, Urt. v. 26.3.2015 – 2 U 62/14
Sachverhalt
Die Kl. zu 1) ist die Ehefrau des Geschädigten, der Kl. zu 2) dessen Sohn. Die Kl. sind je zur Hälfte die Erben des Geschädigten, der am 16.8.2010 in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde. Er befuhr an diesem Tag mit seinem Pkw die bevorrechtigte Bundesstraße. Als sich der Erblasser der Kreuzung mit einer untergeordneten Straße näherte, fuhr der Bekl. zu 1) mit dem von ihm gesteuerten Sattelzug von der mit einem Stoppschild versehenen untergeordneten Straße in den Kreuzungsbereich ein, um nach links in die Bundesstraße einzubiegen. Der Erblasser kollidierte mit dem Sattelzug und geriet mit seinem Pkw unter den Aufleger. Dabei erlitt er schwere Kopfverletzungen, die acht Operationen und eine intensiv-medizinische Behandlung zur Therapie eines unfallbedingt aufgetretenen apallischen Syndroms notwendig machten. Der Geschädigte verstarb am 12.2.2011 an den Unfallfolgen.
Das LG hat nach Beweisaufnahme zum Unfallhergang den Kl. unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Geschädigten wegen erheblicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit u.a. ein Schmerzensgeld von 80.000 EUR zugesprochen. Die Berufung der Bekl. hatte teilweise Erfolg. Sie führte zur Zubilligung eines Schmerzensgeldes von lediglich 60.000 EUR. Hierbei ging das BG in Übereinstimmung mit dem LG von einer Mitverantwortung des Erblassers an dem Unfalleintritt von 25 % aus.
Zur Bemessung der Schmerzensgeldhöhe führte das BG Folgendes aus:
2 Aus den Gründen:
" … III. Schmerzensgeldhöhe: 1. Zutreffend weisen die Bekl. darauf hin, dass sich der Tatrichter bei der Bemessung des Schmerzensgeldes um eine dem Schadensfall gerecht werdende Entschädigung bemühen muss. Dazu hat er alle hierfür maßgeblichen Umstände zu erforschen, wobei er nicht gegen Erfahrungssätze verstoßen und nur bei besonderer Begründung die in der Rspr. in vergleichbaren Fällen bisher gewährten Beträge unterschreiten oder überschreiten darf (BGH VersR 1970, 134; VersR 1976, 967)."
2. a) Allerdings ist der Ausgleich für immaterielle Einbußen wie die vorliegenden, die aufgrund schwerster Hirnverletzungen durch den Verlust des Bewusstseins und der Empfindungsfähigkeit geprägt sind, nicht in der Weise vorzunehmen, dass diese Einschränkungen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes mindernd berücksichtigt werden. Der BGH hat – unter Aufgabe seiner früheren Rspr. (vgl. u.a. NJW 1976, 1147) – vielmehr entschieden, dass der Richter, wie in sonstigen Fällen auch, diejenigen Umstände, die dem Schaden im Einzelfall sein Gepräge geben, eigenständig bewerten und aus einer Gesamtschau die angemessene Entschädigung für das sich ihm darbietende Schadensbild gewinnen muss. Im Rahmen dieser Beurteilung geht es in einem solchen Fall vor allem darum, bei der Bewertung der Einbuße der Tatsache angemessene Geltung zu verschaffen, dass die vom Schädiger zu verantwortende weitgehende Zerstörung der Grundlagen für die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit den Verletzten in seiner Wurzel trifft und für ihn deshalb existentielle Bedeutung hat. Es handelt sich bei Schäden dieser Art um eine eigenständige Fallgruppe, bei der die Zerstörung der Persönlichkeit durch den Fortfall oder das Vorenthalten der Empfindungsfähigkeit geradezu im Mittelpunkt steht und deshalb auch bei der Bemessung der Entschädigung nach § 847 BGB a.F. (= § 253 BGB n.F.) einer eigenständigen Bewertung zugeführt werden muss, die der zentralen Bedeutung dieser Einbuße für die Person gerecht wird. Dabei kann der Richter je nach dem Ausmaß der jeweiligen Beeinträchtigung und dem Grad der dem Verletzten verbliebenen Erlebnis- und Empfindungsfähigkeit Abstufungen vornehmen, um den Besonderheiten des jeweiligen Schadensfalles Rechnung zu tragen. Dagegen ist es dem Richter nicht erlaubt, sich an einem nur gedachten Schadensbild, das von einer ungeschmälerten Empfindungs- und Leidensfähigkeit gekennzeichnet ist, zu orientieren und sodann mit Rücksicht auf den vollständigen oder weitgehenden Wegfall der Empfindungsfähigkeit Abstriche vorzunehmen (vgl. BGH BGHZ 120, 1 = r+s 1993, 56 = NJW 1993, 781, und BGH r+s 1993, 180 = NJW 1993, 1531).
b) Mit dem LG schließt sich der Senat dieser neuen Rspr. an. Eine Auseinandersetzung mit den eingehenden Ausführungen des LG ist in der Berufungsbegründung nicht erfolgt.
3. a) Gleiches gilt mit Blick auf die vom LG als angemessen erachtete Höhe des Schmerzensgeldes von 80.000 EUR (bei 100 %iger Haftung). Die Bekl. gehen mit ihrer Berufung auf die vom LG angeführten Entscheidungen nicht ein.
b) Unter Bewertung dieser Entscheidungen erachtet der Senat – in Abweichung vom LG, das ein Sc...