Das Abwesenheitsverfahren bei Verkehrsordnungswidrigkeiten stellt eine Reihe von rechtlichen und praktischen Problemen auf, die bei der Taktik der Verteidigung beachtet werden müssen. Auf drei soll hier aufmerksam gemacht werden.
Der Betroffene ist zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet (§ 73 Abs. 1 OWiG). Auf seinen Antrag hin entpflichtet ihn das Gericht, wenn sich der Betroffene bereits geäußert hat. Auch der Verteidiger kann diesen Antrag stellen, wobei die Vorlage einer schriftlichen Vertretungsvollmacht erforderlich ist.
Verschiedenste Gründe können nun dazu führen, dass der Gerichtstermin ansteht, der Verteidiger jedoch über keine vom Betroffenen unterzeichnete Vollmacht verfügt und diese aufgrund von Nichterreichbarkeit auch nicht mehr zu beschaffen ist. Grundsätzlich ist für den Entbindungsantrag zwar eine schriftliche Vertretungsvollmacht erforderlich, aber nicht zwingend vom Betroffenen unterschrieben. Dies wurde in jüngster Zeit mehrfach von verschiedenen OLG entschieden. Zu verweisen ist dabei auf die Entscheidung des OLG Brandenburg (zfs 2015, S. 470 mit Anm. Krenberger). Es führt dabei aus, dass die Erteilung der Vertretungsvollmacht durch den Betroffenen gegenüber dem Verteidiger keiner besonderen Form bedarf und daher auch mündlich erteilt werden kann. Im Umfang dieser Vertretungsvollmacht kann zugleich die Ermächtigung enthalten sein, eine etwa erforderliche Vollmachtsurkunde im Namen des Vollmachtgebers zu unterzeichnen. Gleichsam entschieden haben das OLG Dresden (Beschl. v. 21.8.2012 – 3 Ss 336/12), das KG (Beschl. v. 12.6.2013 – 3 Ws (B) 202/13) und das OLG Celle (Beschl. v. 20.1.2014 – 322 SsRs 247/13). Somit kann unnötige Hektik, wenn die schriftliche Vertretungsvollmacht noch nicht vorhanden und der Mandant aktuell nicht erreichbar ist, vermieden werden. Zudem können – diese Nuance dürfte vielen Richtern nicht bekannt sein – daraus gezogene Konsequenzen, etwa ein Verwerfungsurteil, mit Erfolg angefochten werden können. Der Verteidiger kann also ggf. noch zu Beginn des Termins ein Formular selbst unterzeichnen und dann die Entbindung beantragen, etwa weil der Betroffene unerwartet und unentschuldigt dem Termin ferngeblieben ist. Ob auch der Unterbevollmächtigte berechtigt ist, die schriftliche Vertretungsvollmacht zu unterzeichnen, ist bislang noch nicht entschieden.
Zudem soll auch auf die Situation aufmerksam gemacht werden, dass der Betroffene selbst den Entpflichtungsantrag stellt und sodann ein Verteidiger ohne schriftliche Vertretungsvollmacht beim Termin erscheint. Ergeht dann trotzdem ein Abwesenheitsurteil nach § 74 OWiG, liegt eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Denn der Verteidiger hätte im Termin kraft der ihm als Verteidiger zustehenden Befugnisse dem Tatvorwurf rechtlich erhebliche Einwendungen entgegensetzen können, ohne dabei Tatsachen für den Betroffenen vertretungsweise vortragen zu müssen (OLG Köln, Beschl. v. 5.10.2011 – 1 RBs 278/11). In der eben genannten Konstellation ist zudem zu beachten, dass die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung des Urteils beginnt, selbst wenn der Verteidiger anwesend, aber eben nicht schriftlich zur Vertretung bevollmächtigt war (OLG Bamberg, Beschl. v. 18.4.2011 – 2 Ss OWi 243/11). Auch hier kann damit gerechnet werden, dass häufig bei Gericht Rechtsunsicherheit bestehen wird, was gerade in den nicht seltenen Fällen, in denen allein Zeitgewinn bereits entscheidende Vorteile für den Betroffenen bringt, ausgenutzt werden kann.
Schließlich könnte ein Gericht auf die Idee kommen, dem Antrag nicht zu entsprechen, weil es ein falsches Geständnis bezgl. der Fahrereigenschaft "vermutet". Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass der Antrag des Betroffenen nicht wegen der rein theoretischen Möglichkeit eines falschen Geständnisses abgelehnt werden kann, solange konkrete Anhaltspunkte für ein falsches Geständnis fehlen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.10.2013 – 4a Ss 428/13 = NZV 2014, S. 186).