ZPO § 91 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1; VV RVG Nr. 3100
Leitsatz
Nimmt eine mit einer Klage oder einem Rechtsmittel überzogene Partei anwaltliche Hilfe in Anspruch, sind die hierdurch ausgelösten Kosten auch dann erstattungsfähig, wenn der Kläger/Rechtsmittelführer seine Anträge zwischenzeitlich zurückgenommen hat; dies gilt nur dann nicht, wenn die anwaltliche Hilfe suchende Partei oder ihr Vertreter von der Rücknahme weiß oder schuldhaft nicht weiß (Anschluss an BAG RVGreport 2012, 349; gegen BGH zfs 2016, 285 = RVGreport 2016,185).
OLG München, Beschl. v. 30.8.2016 – 11 WF 733/16
Sachverhalt
Die ASt. hatte am 16.7.2015 beim AG Pfaffenhofen – FamG – den Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend das Aufenthaltsbestimmungsrecht des gemeinsamen Kindes der Beteiligten beantragt. Gleichzeitig begehrte sie hierfür Verfahrenskostenhilfe (VKH). Das FamG hat den Antrag zunächst für nicht hinreichend substantiiert angesehen. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung von VKH lagen nach Auffassung des FamG nicht vor. Gleichwohl bestimmte das FamG am 9.9.2015 einen Anhörungstermin und verfügte die Zustellung der Antragsschrift an den AG, der den Schriftsatz am 12.9.2015 erhielt. Mit ihrem am 14.9.2015 per Telefax beim FamG eingegangenen Schriftsatz nahm die ASt. ihren Antrag zurück. Der Familienrichter verfügte am 15.9.2015 die Übermittlung dieses Schriftsatzes an den AG, am 16.9.2015 die Abladung von dem Termin. Diese Verfügungen wurden am 21.9.2015 ausgeführt.
Am 23.9.2015 ging beim FamG ein von den Verfahrensbevollmächtigten des AG verfasster Schriftsatz v. 22.9.2015 ein, in dem er mit näherer Begründung die Zurückweisung des Antrags der ASt. begehrte.
Aufgrund des später zu Lasten der ASt. ergangenen Kostenbeschlusses des FamG beantragte der AG die Festsetzung seiner außergerichtlichen Kosten, nämlich einer 1,3 Verfahrensgebühr nebst Postentgeltpauschale und Umsatzsteuer. Im Kostenfestsetzungsverfahren machte der AG ferner geltend, der Rücknahmeschriftsatz v. 14.9.2015 sei seinen Verfahrensbevollmächtigten erst am 29.9.2015 zugestellt worden. Vorher habe man keinerlei Kenntnis von der Antragsrücknahme gehabt.
Die Rechtspflegerin hat dem Kostenfestsetzungsantrag in vollem Umfang entsprochen. Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die ASt. geltend gemacht, der AG habe seine Anwälte erst beauftragt, als sie selbst ihren Antrag bereits zurückgenommen habe. Folglich sei die Mandatierung der Rechtsanwälte objektiv nicht mehr erforderlich gewesen.
Das OLG München hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
" … II. Die gem. §§ 85 FamFG, 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg; entgegen dem – eine Rechtsmitteleinlegung betreffenden – Beschluss des BGH v. 25.2.2016 – III ZB 66/15- zfs 2016, 285 m. Anm. Hansens = RVGreport 2016, 186 (Hansens) kann die Unkenntnis von der Rücknahme auf Beklagtenseite nicht übergangen werden."
1. Nach der Kostengrundentscheidung im Beschl. des AG v. 16.12.2015 hat die ASt. die Kosten des Rechtsstreits zu tragen; festzusetzen sind die i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO “notwendigen’ Aufwendungen. Nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind dabei die Gebühren des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei grds. zu erstatten; diese Kosten sind damit einer Überprüfung auf Notwendigkeit entzogen und gelten unabhängig von den konkreten Umständen stets als zweckentsprechend verursacht (vgl. BGH RVGreport 2014, 315 (Hansens) = AGS 2014,300; Musielak/Flockenhaus, ZPO, 13. Aufl., § 91 Rn 11 ff.; Hansens, RVGreport 16, 186, 188 li. Sp. unter V. 1.).
2. Nach dem zitierten Beschl. des BGH v. 25.2.2016, zfs 2016, 285, sollen dagegen nur solche Maßnahmen notwendig im genannten Sinne sein, die “im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen’, s. a.a.O., Tz 8 m.w.N.
a) Konkret sei auf die Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen. Entscheidend sei, ob die Maßnahme objektiv noch erforderlich war oder nicht, auf eine – verschuldete oder unverschuldete – Unkenntnis des Rechtsmittelbeklagten von der Berufungsrücknahme komme es nicht an. Die “subjektive Unkenntnis’ des Rechtsmittelgegners sei nicht geeignet, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine objektiv nicht erforderliche Handlung zu begründen. Im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit von Kosten sei die “objektive Sicht’ einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei maßgeblich, die das Gebot sparsamer Prozessführung im Blick habe (a.a.O., Tz 10). Der Rechtsmittelbeklagte könne eine bestehende Ungewissheit, ob das Rechtsmittel bereits zurückgenommen sei, ggf. durch eine telefonische Nachfrage bei Gericht rasch und problemlos klären.
b) Geht man hiervon aus, müsste man auch bei vorliegender Konstellation der Argumentation des BGH und der ASt. folgen und rein auf die Rücknahme an sich abstellen:
Der Rücknahmeschriftsatz ging bereits am 14.9.2015 bei Gericht ein – darauf, dass er dem AG frühestens am 22.9.2015 zugestellt wurde und dessen Anwälte bei Entg...