StVG § 2; FeV § 11 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 4, Nr. 5 § 20 Abs. 1 S. 1 § 22 Abs. 2; VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
Leitsatz
1. Eine Vorwegnahme der Hauptsache durch Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den ASt. schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße.
2. Eine dem Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis stattgebende Entscheidung kommt nicht in Betracht, solange ein gegen den ASt. eingeleitetes Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht abgeschlossen ist.
3. Auch im Falle einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG) kommt die Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 69 Abs. 1 S. 1 StGB bzw. die Anordnung einer isolierten Sperrfrist für die Wiedererteilung gem. § 69a Abs. 1 S. 3 StGB als Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht. Dem steht nicht entgegen, dass das Fahren ohne Fahrerlaubnis nicht als Regelbeispiel in § 69 Abs. 2 StGB genannt ist.
4. Die Behörde ist weder durch die im Strafverfahren geltende Unschuldsvermutung noch durch § 3 Abs. 3 S. 1 StVG daran gehindert, den Ausgang eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abzuwarten. § 3 Abs. 3 S. 1 StVG untersagt der Fahrerlaubnisbehörde nur in einem Entziehungsverfahren, nicht aber in einem Erteilungsverfahren, den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, zu berücksichtigen, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt. Es entspricht dem auf das Erteilungsverfahren übertragbaren Grundgedanken dieser Vorschrift, einander widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden zu vermeiden.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BayVGH, Beschl. v. 17.8.2017 – 11 CE 17.1437
Sachverhalt
Der ASt. begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der AG verpflichtet wird, ihm vorläufig eine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Wegen einer Trunkenheitsfahrt am 19.5.2016 (BAK 1,16 ‰) verurteilte das AG Regensburg den ASt. mit Strafbefehl v. 11.8.2016 zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von elf Monaten an. Die Sperrfrist setzte das AG Regensburg mit Urt. v. 7.11.2016 auf acht Monate und ihren Ablauf mit Beschl. v. 11.5.2017 auf den 7.6.2017 fest.
Am 7.4.2017 beantragte der ASt. beim Landratsamt R. (im Folgenden: Landratsamt) die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B. Am 2.6.2017 ging beim Landratsamt eine Mitteilung der Polizeiinspektion P. ein, wonach gegen den ASt. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) am 21.3.2017 ermittelt werde. Mit Schreiben v. 2.6.2017 teilte das Landratsamt dem ASt. mit, solange dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, könne über seinen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht entschieden werden.
Am 13.6.2017 erhob die Staatsanwaltschaft N Anklage gegen den ASt. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Am 12.6.2017 ließ der ASt. beim VG Regensburg Klage auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen B und BE erheben und beantragen, den AG im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig die Fahrerlaubnis zu erteilen. Er sei aus beruflichen Gründen dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Diese könne ihm auch im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren nicht verweigert werden.
Über die Klage hat das VG noch nicht entschieden. Mit Beschl. v. 5.7.2017 hat das VG Regensburg (RO 8 E 17.983) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Aufgrund des Ermittlungsverfahrens wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis bestehe ein zureichender Grund dafür, dass das Landratsamt bisher noch nicht über den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis entschieden habe.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Beschwerde, der der AG entgegentritt, lässt der ASt. ausführen, die vorläufige Erteilung einer Fahrerlaubnis, ggf. zeitlich befristet, unter Bedingungen oder Auflagen oder mit einem Widerrufsvorbehalt, würde die Hauptsache nicht in unzulässiger Weise vorwegnehmen. Das Abwarten des Ausgangs des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens verstoße gegen die Unschuldsvermutung und verletze den Anspruch des ASt. auf effektiven Rechtsschutz. Der ASt. sei im Außendienst tätig und auf die Fahrerlaubnis zwingend angewiesen. Er sei jederzeit bereit, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen.
2 Aus den Gründen:
" … II. Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der VGH gem. § 146 Abs. 4 S. 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg."
1. Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergeh...