Die Corona-Pandemie hat Deutschland zwischenzeitlich wieder im Griff, die Fallzahlen steigen. Welche Weiterungen noch kommen werden, kann an dieser Stelle nicht gesagt werden. Die im Sommer prognostizierte zweite Welle hat uns erreicht. Neben der Corona-Pandemie gibt es allerdings ein weiteres Thema, das Deutschland schon weitaus länger beschäftigt als COVID-19. Und auch dort ist die zweite Welle da …
Seit über fünf Jahren ist der Abgasskandal, "ausgelöst" vom Volkswagenkonzern, ständiger Begleiter der Deutschen. In einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von Gerichtsverfahren wurden bei den Instanzgerichten diametral unterschiedliche Entscheidungen zu sämtlichen relevanten Fragestellungen getroffen. Sogar der Gesetzgeber sah sich veranlasst, aufgrund des Dieselskandals tätig zu werden und hierfür das (zweifelhafte) Institut der Musterfeststellungsklage ins Leben zu rufen.
Nach fast fünf Jahren war es dann soweit, der VI. Zivilsenat des BGH hatte Gelegenheit, sich im Frühsommer mit der Dieselthematik in Verfahren gegen den Volkswagenkonzern zu befassen. Mit Urt. v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19 hat er eine Haftung von VW nach § 826 BGB bejaht und ausgeführt, VW habe bewusst und gewollt durch Täuschung des KBA unzulässige Fahrzeuge der Motorbaureihe EA 189 in siebenstelligen Stückzahlen in Verkehr gebracht. Dies sei im Verhältnis zu ahnungslosen Käufern besonders verwerflich. Der Schaden liege im Abschluss des Kaufvertrages, ein späteres Software-Update beseitige diesen nicht (BGH, Urt. v. 30.7.2020 – VI ZR 367/19).
Damit war es aber mit der Herrlichkeit für die Käufer auch schon vorbei, denn der BGH hat dem Anspruch auf Deliktszinsen nach § 849 BGB eine Absage erteilt und auch die Nutzungsvorteile für gefahrene Kilometer abgezogen (die den Schadensersatzanspruch sogar vollständig aufzehren können [BGH, Urt. v. 30.7.2020 – VI ZR 354/19]). Doch damit nicht genug. Mit Urt. v. 30.7.2020 – VI ZR 5/20 – verneint der BGH Schadensersatzansprüche insgesamt für Käufer, die jedenfalls ab 2016 betroffene Fahrzeuge erworben haben, da in den Erklärungen von VW ab dem 22.9.2015 eine Verhaltensänderung zu ersehen sei, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit entfallen lasse.
Stand heute ist damit eigentlich nur noch eine wesentliche Frage ungeklärt: Wann beginnt die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen? Hiermit wird sich der BGH am 14.12.2020 im Verfahren VI ZR 739/20 befassen.
Und wie bei der Corona-Pandemie ist auch im "Abgasskandal" eine zweite (Klage-)Welle angerollt. Und wieder trifft es insbesondere den Volkswagenkonzern, wobei diesmal die 3-Liter-Motoren (EA 897) und 4.2-Liter-Motoren (EA 899) betroffen sind. Auch bei diesen Dieselmotoren ist die Problematik ähnlich gelagert wie beim Motor EA 189, wobei die Instanzrechtsprechung nicht einheitlich ist, so dass der BGH auch hier das letzte Wort haben wird.
Und auch die Daimler AG wird zwischenzeitlich mit Klagen überzogen. Die Instanzgerichte lassen aber Klagen überwiegend daran scheitern, dass wohl ein erlaubtes Thermofenster vorliege oder aber die Kläger nicht substantiiert zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB und zu § 31 BGB vortragen würden. Nachdem ein Kläger seine Revision gegen die Daimler AG vor dem BGH zurückgenommen hat und deshalb der Verhandlungstermin am 27.10.2020 abgesagt wurde, wird sich der BGH am 14.12.2020 im Verfahren VI ZR 314/20 mit dem Daimler-Thermofenster befassen, sofern der Kläger nicht auch in diesem Verfahren zu einer Rücknahme seiner Revision "bewegt" wird.
Die Hoffnung der Gerichte auf ein Abebben der Klagewelle hängt stark von den noch ausstehenden Entscheidungen des BGH ab, da nur dadurch den Instanzgerichten die Segelanweisung an die Hand gegeben werden kann, um die Verfahren zeitnah zu entscheiden und eine Vielzahl von Berufungs- und Revisionsverfahren zu vermeiden.
Autor: Dr. Matthias Köck
RA Dr. Matthias Köck, FA für VerkehrsR und ArbeitsR, Nürnberg
zfs 11/2020, S. 601