OWiG § 79 Abs. 1 Nr. 3; StVG § 25; StVO § 41 Abs. 1 Zeichen 251; StPO § 261
Leitsatz
1. Ob eine Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthaft ist, richtet sich ausschließlich nach dem formalen Vergleich von Bußgeldbescheid und Urteil. Eine teleologische Reduktion auf solche Fälle, bei denen auch auf der Grundlage des gerichtlichen Schuldspruchs ein (Regel-)Fahrverbot in Betracht käme, scheitert an der durch den Wortlaut der Vorschrift gezogenen Auslegungsgrenze.
2. Ob der Betroffene eines oder mehrere Verkehrszeichen infolge Unachtsamkeit übersehen hat, ist Gegenstand freier richterlicher Beweiswürdigung und durch das Rechtsbeschwerdegericht in aller Regel auch dann hinzunehmen, wenn die Verkehrszeichen gut sichtbar waren.
3. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dem zufolge ortsunkundige Kraftfahrer aufmerksamer und normtreuer sind als ortsansässige.
KG, Beschl. v. 31.7.2020 – 122 Ss 71/20
Sachverhalt
Gegen den Betr. ergingen eine Geldbuße von 500 EUR und ein zweimonatiges Fahrverbot. Dem Betr. ist vorgeworfen worden, als Führer eines (unbeladenen) Sattelzugs die K-Brücke in Berlin befahren zu haben und hierdurch wissentlich gegen ein durch das Zeichen 251 und sog. Verkehrseinrichtungen angeordnetes Verkehrsverbot verstoßen zu haben. Auf seinen Einspruch ist der Betr. durch das AG nur wegen fahrlässiger Tatbegehung zu einer Geldbuße von 75 EUR verurteilt worden; ein Fahrverbot ist nicht angeordnet worden. Das AG hat dem auswärtigen Betr. geglaubt, unkonzentriert gewesen zu sein und sowohl das an der Autobahnausfahrt mit Zusatzzeichen "7,5 t" und Zeichen 1000-11 (Richtungspfeil nach links) als auch das an der Brücke angebrachte Zeichen 251 sowie die rot-weißen Baken an der Brücke übersehen zu haben. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft, die einen Darstellungsmangel geltend macht und die Beweiswürdigung beanstandet. Das KG hat die Rechtsbeschwerde verworfen.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG statthaft und im Weiteren zulässig. Denn gegen den Betr. ist im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot verhängt worden, nicht aber im Urteil. Dass der Bußgeldkatalog für die schließlich angewandte Bußgeldvorschrift kein Fahrverbot vorsieht, ändert an der Anwendbarkeit des § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG nichts. Hiernach kommt es ausschließlich auf den formalen Vergleich von Bußgeldbescheid und Urteil an. Eine – an sich denkbare und erwägenswerte – teleologische Reduktion auf solche Fälle, bei denen auch auf der Grundlage des tatsächlichen Schuldspruchs ein Fahrverbot in Betracht käme, scheitert an der durch den Wortlaut des § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG gezogenen Auslegungsgrenze."
2. Das Rechtsmittel hat jedoch keinen Erfolg.
a) Die Feststellungen des Urteils tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tatbegehung. Der durch die Amtsanwaltschaft geltend gemachte Darstellungsmangel besteht nicht. Das AG hat im Einzelnen dargelegt, wo Verkehrszeichen angebracht waren und dass der Betr. diese Zeichen möglicherweise infolge Unaufmerksamkeit übersehen hat. Die Beanstandung der Rechtsbeschwerdeführerin, das Urteil verhalte sich nicht zu “den weiteren Ankündigungszeichen und der übrigen Ausschilderung des Verkehrsverbots' (RB S. 1), bleibt ohne Erfolg. Denn dass am Tattag, dem 28.10.2019, weitere Verkehrszeichen vorhanden und sichtbar waren, ist urteilsfremd und weder allgemein- noch senatsbekannt.
b) Auch die Würdigung der Beweise deckt keinen sachlich-rechtlichen Fehler auf.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. des BGH, vgl. zuletzt Beschl. v. 28.4.2020 – 2 StR 494/19 – BeckRS 2020 11446).
Einen derartig sachlich-rechtlichen Fehler weist das angefochtene Urteil nicht auf. Das AG hat die bestehenden Möglichkeiten, dass der Betr. die Verkehrszeichen nämlich gesehen und dass er sie übersehen haben könnte, erkannt und in der Folge abgewogen, was für das eine und was für das andere spricht. Dabei hat das AG die Einlassung des Betr., er sei ortsfremd und “auf die Straße' konzentriert gewesen und er habe sich auf die Routenplanung seines Navigationsgerätes verlassen (UA S. 3), als jedenfalls nicht zu widerlegen angesehen. Dies ist ebenso wenig zu beanstanden wie die Würdigung des Tatrichters, die Beschilderung sei bei “durchschnittlicher Aufmerksamkeit wahrnehmbar' gewesen, es sei aber auch “nachvollziehbar', dass der Betr. sie übersehen habe (UA S. 4). Eine solche Bewertung stellt sich als Kernbereich freier richterlicher Beweiswürdigung dar, die ausschließlich dem Tatrichter obliegt und der Bewertung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen ist.
Indem es die Amtsanwaltschaft, die keinen Vertreter in die Hauptverhandlung entsandt hat, al...