BU § 1 Abs. 1a, b § 3 Abs. 1
Leitsatz
Hat eine Versicherungsnehmerin ihre Arbeitszeit vor Eintritt des Versicherungsfalls aufgrund von Elternzeit reduziert, bleibt Maßstab für die Bemessung des Grades der Berufsunfähigkeit die vor Antritt der Elternzeit ausgeübte Vollzeittätigkeit.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Offenburg, Urt. v. 27.11.2019 – 2 O 443/18
Sachverhalt
Die Kl. macht Ansprüche aus einer bei der Bekl. bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.
Die Kl. ist gelernte medizinische Fachangestellte. Nach Abschluss ihrer Ausbildung im Jahr 2002 war sie zunächst bis Dezember 2009 in diesem Beruf in Vollzeit mit einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden in verschiedenen Arztpraxen tätig. Im Januar 2010 bekam die Kl. eine Tochter und war bis Juni 2011 in Elternzeit. Von Juni 2011 bis September 2015 war die Klägerin in Teilzeit als Arzthelferin tätig bei einer Wochenarbeitszeit von 23 Stunden, wobei die Rückkehr in eine Vollzeittätigkeit nach Einschulung der Tochter beabsichtigt war.
Im Oktober 2015 kam es bei einem chirurgischen Eingriff zu einer Verletzung des Rückenmarks und in dessen Folge zu einem Subdural-Hämatom bei der Kl. Auf Grund der hiermit einhergehenden Beschwerden, deren Umfang zwischen den Parteien unstreitig ist und hinsichtlich derer im Übrigen auf die Klageschrift verwiesen wird, beantragte sie im Januar 2016 für den Zeitraum ab Oktober 2015 Leistungen von der Bekl. aus der genannten Versicherung. In ihrem Antrag gab sie eine Arbeitszeit von 4 x 5,75 Stunden, mithin 23 Stunden pro Woche, an.
Die Bekl. erkannte ihre Leistungspflicht zunächst an.
Ab April 2016 begann die Kl. eine Wiedereingliederung in ihrem Beruf als medizinische Fachangestellte. Sie arbeitet derzeit maximal 19 Stunden pro Woche, wobei zwischen den Parteien unstreitig ist, dass ihr aufgrund der vorangegangenen Erkrankung eine höhere Arbeitszeit nicht möglich ist.
Im Februar leitete die Bekl. ein Nachprüfungsverfahren ein und kündigte an, dass sie aufgrund der Wiederaufnahme der Berufstätigkeit der Kl. ihre Leistungen zum 1.6.2017 einstellen werde und die Freistellung von den Versicherungsbeiträgen zum gleichen Zeitpunkt auslaufe.
2 Aus den Gründen:
"… I. Nach § 1 Abs. 1 AVB erbringt die Bekl. monatlich im Voraus eine Berufsunfähigkeitsrente, wenn die versicherte Person berufsunfähig wird i.S.v. § 2 Abs. 1 AVB. Die Kl. war infolge der Komplikationen nach der bei ihr im September 2015 durchgeführten Operation zunächst vertragsgemäß berufsunfähig. Die Berufsunfähigkeit dauert auch über den 1.6.2017 hinaus an. Dem steht insbesondere nicht die Tatsache entgegen, dass die Kl. inzwischen zu einer Arbeitstätigkeit von 19 Stunden pro Woche in ihrem erlernten Beruf als medizinische Fachangestellte in der Lage ist."
1. Nach § 2 Abs. 1 AVB besteht Berufsunfähigkeit, wenn der Versicherte zu mindestens 50 % außerstande ist, seiner vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Hinsichtlich des letzten Berufs ist bei der Kl. auf ihre weiterhin ausgeübte Tätigkeit als medizinische Fachangestellte abzustellen, allerdings mit der Arbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche, was ihrem Tätigkeitsumfang vor Beginn der Elternzeit im Dezember 2009 entsprach. Da der Kl. derzeit nur noch eine Tätigkeit von maximal 19 Stunden pro Wochen möglich ist, liegt eine Berufsunfähigkeit zu 50 % weiterhin vor.
2. Entgegen der Auffassung der Bekl. ist nicht auf die Wochenarbeitszeit der Kl. unmittelbar vor Eintritt der Berufsunfähigkeit von 23 Stunden pro Woche abzustellen. Bei einem Berufswechsel gilt insofern, dass grds. auf den neuen Beruf abzustellen ist, wenn dieser nunmehr die Lebensstellung prägt (vgl. OLG Saarbrücken, zfs 2014, 521). Diese Grundsätze sind entsprechend anzuwenden, wenn der Versicherte zwar seinen Beruf beibehält, aber seine Arbeitszeit erhöht oder reduziert. Es ist somit grds. auf die Arbeitszeit unmittelbar vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung abzustellen, wobei im Falle einer Änderung aber Voraussetzung ist, dass die geänderte Arbeitszeit die Lebensstellung des Versicherten bereits prägt. Dies ist hinsichtlich des Übergangs auf eine Teilzeittätigkeit durch die Kl. zu verneinen. Grund für die Reduzierung der Arbeitszeit war die Geburt der Tochter der Kl., wobei die Kl. bereits zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigte, nach der Einschulung ihrer Tochter ihre Arbeitszeit wieder zu erhöhen. Eine Reduzierung der Arbeitszeit zur Kinderpflege ist in der Regel, wenn keine anderweitigen Anhaltspunkte entgegenstehen, nur vorübergehender Natur, da der Versorgungsbedarf sich mit zunehmendem Alter des Kindes grds. reduziert. Es ist deshalb regelmäßig nicht davon auszugehen, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit zur Kinderbetreuung zu einer relevanten Änderung des Berufsbildes führt (vgl. Langheid/Rixecker/Rixecker, 6. Aufl. 2019, VVG § 172 Rn 11; …).
So hat der BGH den Leistungsanspruch einer Versicherten bestätigt, die bis 1994 als Erzieherin tätig war und in der Folge nach Eltern- und Erziehungszeit erst 2008 wieder in ih...