ZPO § 256; VVG § 178 Abs. 1, AUB 2008 Nr. 5.2.6
Leitsatz
1. Nach Ablauf der Erstbemessungsfrist ist eine auf Feststellung der Pflicht zur Erbringung der Invaliditätsleistung gerichtete Feststellungsklage regelmäßig unzulässig.
2. Der Leistungsausschluss nach Nr. 5.2.6 AUB 2008 hat nicht zur Voraussetzung, dass die psychische Reaktion sich als medizinisch nicht nachvollziehbare Fehlverarbeitung des Unfalls erweist.
OLG Frankfurt, Urt. v. 23.6.2022 – 7 U 88/21
Sachverhalt
Der Kl. begehrt von der Bekl. die Feststellung, dass diese ihm gegenüber zur Erbringung der bedingungsgemäßen Invaliditätsleistung aus einer privaten Unfallversicherung verpflichtet sei, hilfsweise Zahlung derselben sowie die Feststellung der weiteren Einstandspflicht.
Der Kl. unterhält bei der Bekl. eine Unfallversicherung mit einer Invaliditätsgrundsumme von 25.000 EUR bei vereinbarter 1000 % Progression und einer Höchstsumme von 250.000 EUR. Die Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung sind in Ziff. 2.1.1 der zugrundeliegenden AUB 2008 der Bekl. geregelt; danach muss die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und bei der Bekl. geltend gemacht werden. Gemäß Ziff. 5.2.6 AUB 2008 sind "krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden" vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Das Unfallereignis, ein behaupteter Anstoß des rechten Ellenbogens an einen Heizkörper am XX.XX.2018, die Unfallbedingtheit einer nachfolgenden großflächigen Infektion des betroffenen Armes und die daraus resultierenden Dauerfolgen im Arm waren in erster Instanz streitig. Wegen der Einzelheiten wird diesbezüglich auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Der Kl. nahm die auf den Unfall vom XX.XX.2018 bezogene Schadenmeldung am 17.7.2018 telefonisch vor. Die Bekl. wies mit Schreiben vom gleichen Tag auf die vertraglichen Invaliditäts-, Feststellungs- und Geltendmachungsfristen hin. Der Kl. habe keine Ansprüche mehr, wenn diese Fristen verstrichen seien. Per E-Mail vom 8.5.2019 übersandte der Kl. einen Therapiebericht. Die Bekl. wies mit Schreiben vom 16.5.2019 darauf hin, dass dieser Bericht zur Feststellung einer unfallbedingten Invalidität nicht ausreichend sei, und übersandte dem Kl. ein Formular zur Feststellung einer eventuellen Invalidität mit der Bitte, dieses fachärztlich ausgefüllt zurückzusenden. In dem von der Bekl. formularmäßig vorgegebenen "Ärztlichen Erstbericht" vom 7.6.2019, der der Bekl. am 13.6.2019 ausgefüllt wieder zuging, versah der behandelnde Hausarzt die Frage nach Dauerfolgen mit einem Fragezeichen. Handschriftlich ist auf dem Formular vermerkt: "Die Beschwerden sind überlagert durch eine posttraum. Belastungsstörung und mittelgr. Depression. Insbesondere das Schmerzempfinden kann nur eingeschränkt beurteilt werden".
Der Kl. hat vorgetragen, bei ihm sei durch den Unfall zusätzlich zu der Armverletzung eine dauerhafte krankhafte Veränderung der Psyche in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung bzw. rezidivierenden depressiven Störung eingetreten. Der Ausschluss für psychische Beeinträchtigungen greife nicht, weil der Unfall zu organischen Veränderungen geführt habe, welche die psychische Erkrankung zur Folge gehabt hätten. Die psychische Dauerfolge sei auch fristgerecht aufgetreten und festgestellt, da im am 8.5.2019 übersandten Therapiebericht Schlafprobleme geschildert würden. Er schätze seinen Invaliditätsgrad auf 50 %.
2 Aus den Gründen:
Das LG hat den auf Feststellung der Pflicht zur Erbringung der Invaliditätsleistung gerichteten Hauptantrag zu Recht als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung wird zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass die Zulässigkeit des Hauptantrages vorliegend nicht bereits mit der Begründung bejaht werden kann, dass zu erwarten sei, dass die Bekl. schon auf die Feststellungsklage hin leisten werde, weil die Bekl. ausdrücklich die Zulässigkeit der Feststellungsklage in Abrede stellt und die Ansprüche der Höhe nach bestreitet (vgl. BGH, r+s 2022, 328 Rn 16).
Die Zulässigkeit folgt auch nicht daraus, dass es einem VN nicht zumutbar wäre, auf eigene Kosten ein vorgerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen, um den Invaliditätsgrad zuverlässig zu bestimmen (a.A. OLG Koblenz, BeckRS 2018, 40281 Rn 28). Dem Kosteninteresse des VN kann beim Anfall von Gutachterkosten zur Vorbereitung einer Klage bereits durch die Regelungen des Schadensersatzrechts bzw. durch die Möglichkeit einer Kostenfestsetzung Rechnung getragen werden (vgl. hierzu Jacob, Unfallversicherung, 3. Aufl. 2022, Ziff. 9 Rn 68). Eine falsche Bezifferung ist Teil des Prozessrisikos des VN (vgl. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl. 2014, Rn 30). Ein Rechtsanspruch auf Durchführung der Bemessung des Invaliditätsgrades ist in den AUB nicht vorgesehen. Ein eigenes Sachverständigenverfahren sehen die Bedingungen nicht vor (vgl. zu...