OWiG § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10
Leitsatz
Wird nach Erlass des Bußgeldbescheides und vor Übersendung der Akten an das Amtsgericht nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt, unterbricht die Übersendung der Akten an das Amtsgericht zwecks Entscheidung über den Antrag die Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG nicht. (Leitsatz der Redaktion)
KG, Beschl. v. 14.6.2023 – 3 ORbs 108/23 – 162 Ss 51/23
1 Sachverhalt
Die Polizei Berlin hat gegen den Betroffenen am 14.12.2021 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 1.500,00 EUR und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Auf den am 6.1.2022 zugestellten Bußgeldbescheid reagierte der Betroffene mit einem am 7.1.2022 bei der Polizei eingegangenen Antrag auf Ratenzahlung und "Umwandlung des Fahrverbotes". Die Polizei hat ihm Ratenzahlung gewährt und ihn am 11.4.2022 schriftlich aufgefordert, seinen Führerschein abzugeben, weil sie meinte, der Bußgeldbescheid sei insoweit rechtskräftig geworden. Mit Schriftsatz vom 31.3.2022 hat seine Verteidigerin Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, den die Polizei mit Bescheid vom 26.4.2022 als unzulässig, weil verspätet, verworfen hat. Mit bei der Polizei am 5.5.2022 eingegangenen anwaltlichen Schreiben hat die Verteidigerin einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Zwecks Entscheidung darüber waren die Akten am 17.5.2022 beim Amtsgericht eingegangen. Das Gericht hat mit Beschl. v. 25.7.2022 den Bescheid der Polizei vom 26.4.2022 nur hinsichtlich der Rechtsfolge aufgehoben und i.Ü. den Antrag verworfen, weil es bereits das Schreiben des Betroffenen als ein auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bewertet hat. Anschließend hat es die Akten zurückgesandt.
Die Amtsanwaltschaft hat am 4.10.2022 dem Amtsgericht die Akten vorgelegt, das den Betroffenen am 23.2.2023 auf der Grundlage des im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheides zu einer Geldbuße von 1.270,00 EUR unter Gewährung von Ratenzahlung und einem Fahrverbot von zwei Monaten verurteilt hat. Zugleich hat es eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.
Das KG hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und das Verfahren eingestellt.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO.
1. Auf die Sachrüge ist bereits v.A.w. zu prüfen, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen (vgl. BGHSt 21, 242). Diese ergibt, dass Verfolgungsverjährung bereits eingetreten war, als die Amtsanwaltschaft die Akten am 4.10.2022 dem Gericht nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG vorgelegt hat.
a) Ausweislich des dem Senat im Wege des Freibeweises zugänglichen Akteninhalts hat der Betroffene die verfahrensgegenständliche Handlung am 13.8.2021 begangen. Da sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte, hat die Polizei am 22.10.2021 das Verfahren vorläufig eingestellt, wodurch der Lauf der dreimonatigen Verfolgungsverjährung unterbrochen wurde (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG). Am 11.11.2021 hat sie die Anhörung des Betroffenen veranlasst, so dass bei Zustellung des Bußgeldbescheides vom 14.12.2021 am 6.1.2022 die dreimonatige Verjährungsfrist nach §§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG, 26 Abs. 3 StVG noch nicht abgelaufen war. Die durch die Zustellung bewirkte Unterbrechung hatte nach § 26 Abs. 3 StVG zugleich die Verlängerung der Frist der Verfolgungsverjährung von drei auf sechs Monate zur Folge. Diese am 5.7.2022 abgelaufene Frist ist nicht erneut unterbrochen worden.
b) Weder der Eingang der Akten beim Gericht am 17.5.2022 zwecks Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Betroffenen (§§ 69, 62 OWiG) noch die Rückgabe der Akten nach Erlass des Beschlusses haben zu einer weiteren Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG geführt. Denn die Übersendung der Akten hat keine Aktenübersendung i.S.v. § 69 Abs. 3 OWiG dargestellt, weil die hiesige Vorlage auf anderen als den in diesen Regelungen genannten Gründen beruhte (vgl. Gürtler/Thoma in Göhler OWiG 18 Aufl., § 33 Rn 33a). Auch deren Rücksendung hat nicht der weiteren Aufklärung des Sachverhalts gedient, wie es § 69 Abs. 5 Satz 1 OWiG erfordert.
c) Die Durchführung des Verfahrens nach §§ 69, 62 OWiG hat ebenfalls zu keiner weiteren Unterbrechung der Verjährung geführt. Zwar ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (und gleiches gilt auch für die Gewährung der Wiederaufnahme eines Verfahrens) dazu führen kann, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung die Frist der Verfolgungsverjährung erneut zu laufen beginnt (für die Wiedereinsetzung: OLG Stuttgart MDR 1986, 608; OLG Düsseldorf MDR 1988, 794; Gürtler/Thoma a.a.O., Vor § 31 Rn 2...