OWiG § 31 § 32 § 74
Leitsatz
1. Mit der Bewilligung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid beginnt die Frist für die Verfolgungsverjährung neu zu laufen, wenn im Zeitpunkt des Ablaufs der Einspruchsfrist noch keine Verfolgungsverjährung eingetreten war.
2. Mit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen ein nach § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch verwerfendes Urteil gemäß § 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG ist der Verjährungsablauf gemäß § 32 Abs. 2 OWiG gehemmt.
3. Ein Entschuldigungsvorbringen ist ausreichend i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG, wenn schlüssig Umstände vorgetragen werden, die einem Betroffenen die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar machen; eine Nachweispflicht trifft den Betroffenen nicht.
BayObLG, Beschl. v. 28.3.2023 – 202 ObOWi 314/23
1 Sachverhalt
Gegen den Betroffenen erging Bußgeldbescheid wegen eines fahrlässigen Abstandsverstoßes. Den Einspruch des Betroffenen verwarf das AG, nachdem der Beschuldigte in der Hauptverhandlung nicht erschienen war. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das BayObLG das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Das zulässige Rechtsmittel führt aufgrund der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht.
1. Eine Einstellung des Verfahrens kommt nicht in Betracht, weil das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht eingetreten ist.
a) Die Verjährungsfrist betrug zunächst 3 Monate (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG) und begann mit Beendigung der Handlung (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), hier also am 18.6.2020. Die Verjährung wurde jedenfalls durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.9.2020, der dem Betroffenen am 17.9.2020 zugestellt wurde, unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG), sodass ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG 6 Monate betrug.
b) Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft wurde die 6-monatige Verjährungsfrist durch den Akteneingang beim Amtsgericht am 15.4.2021 rechtzeitig unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
aa) Zwar lagen zwischen der vorhergehenden Unterbrechungshandlung durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.9.2020 und dem Akteneingang beim Amtsgericht am 15.4.2021 mehr als 6 Monate.
bb) Gleichwohl war die Verjährungsfrist zum letztgenannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Denn die durch die Zentrale Bußgeldstelle am 24.11.2020 bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist hatte zur Folge, dass die Verjährungsfrist neu zu laufen begann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.3.2004 – 2 ObOWi 7/2004, DAR 2004, 281; KG, Beschl. v. 4.4.2017 – 3 Ws [B] 43/17, StraFo 2017, 460). Mit der Rechtskraft des Bußgeldbescheids, die (zunächst) aufgrund des Ablaufs der Einspruchsfrist eingetreten war, bestand für eine Verfolgungsverjährung nach § 31 OWiG kein Raum mehr; vielmehr lief stattdessen die Frist für die Vollstreckungsverjährung nach § 34 OWiG (OLG Hamm, Beschl. v. 23.5.1972 – 5 Ss OWi 363/72, NJW 1972, 2097). Eine neue Verfolgungsverjährung kann in Fällen, in denen das Verfahrensrecht einen Eingriff in die Rechtskraft zulässt, erst zu dem Zeitpunkt beginnen, in dem das rechtskräftig verurteilende Erkenntnis beseitigt wird (BayObLG, Urt. v. 7.10.1953 – 1 St 333/53). Dies hat zur Folge, dass mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die zur Beseitigung der bis dahin eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheids führte, die bei Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids noch nicht abgelaufene Frist für die Verfolgungsverjährung neu zu laufen begann. Mit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist durch die Entscheidung der Verwaltungsbehörde vom 24.11.2020 wurde die Rechtskraft des Bußgeldbescheids nachträglich beseitigt. Dies hatte aber nicht etwa zur Folge, dass die ursprüngliche Frist für die Verfolgungsverjährung gleichsam rückwirkend wieder lief. Andernfalls würden für den säumigen Betroffenen Vorteile geschaffen, die er ohne seine Säumnis nicht gehabt hätte, was mit dem Zweck der Wiedereinsetzung nicht vereinbar wäre (OLG Hamm a.a.O.). Durch das Recht der Wiedereinsetzung sollen zwar dem Betroffenen, der unverschuldet eine Frist versäumt hat, keine Nachteile entstehen, eine Besserstellung seiner Rechtsposition ist durch die Vorschriften über die Wiedereinsetzung aber nicht intendiert.
2. In der Folgezeit wurden jeweils weitere Unterbrechungshandlungen vor Ablauf der 6-monatigen Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 11 OWiG rechtzeitig vorgenommen bis zu dem ersten in dem Verfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil des Amtsgerichts vom 27.1.2022. Seit diesem Zeitpunkt ist der Verjährungsablauf gemäß § 32 Abs. 2 OWiG gehemmt. Der Umstand, dass auf Antrag des Betroffenen ...