Der BGH hat bereits in seiner Entscheidung vom 30.9.1980 darauf hingewiesen, dass die Mitschuld eines Geschädigten sowohl bei der Entstehung des Schadensereignisses (vgl. oben unter Ziffer III.) als auch bei der Entstehung des Schadens aus diesem Ereignis, z.B. infolge des Nichtangurtens, zu differenzieren ist. Hierbei handelt es sich um zwei verschiedene Mitverschuldenseinwendungen, weshalb auch zwei getrennte Quoten zu bilden sind. Während nämlich eine schuldhafte oder aufgrund von § 7 Abs. 1 StVG zu verantwortende Mitverursachung des Unfalls stets den gesamten Ersatzanspruch des Geschädigten unter Beachtung der Besonderheiten beim Schmerzensgeld entsprechend der vom Gericht zu bildenden Haftungsquote mindert, kommt eine im Umfang gleiche Wirkung dem Verstoß gegen die Anschnallpflicht nicht zu. Dieser Verstoß kann sich vielmehr, je nach der Art des Unfalls und der dabei vom Geschädigten erlittenen Verletzungen, verschieden auswirken; seine Ursächlichkeit wird innerhalb desselben Unfallgeschehens sogar für einzelne Schäden, z.B. solche am Kraftfahrzeug oder an mitgeführten Sachen, in der Regel völlig zu verneinen sein. Der Mitverschuldenseinwand wegen Verstoßes gegen die Anschnallpflicht betrifft nur die materiellen Personenschäden sowie das Schmerzensgeld. Nach der zitierten Rechtsprechung des BGHs könnte daher zunächst ein Grundurteil ergehen und die Frage des Verstoßes gegen die Anschnallpflicht dem Betragsverfahren vorbehalten bleiben.
Sowohl das Mitverschulden/die Mitverursachung beim Entstehen des Schadensereignisses als auch das zusätzliche Mitverschulden beim Entstehen des Schadens aus dem Schadensereignis wird letztlich auf einen Verstoß gegen § 254 Abs. 1 BGB und nicht auf § 254 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 und 3 BGB gestützt.
Es entspricht der herrschenden Rechtsprechung, dass einem Geschädigten, der den Sicherheitsgurt entgegen §.21 a StVO nicht angelegt hatte, grundsätzlich ein Mitverschulden an seinen infolge des Nichtanlegens des Gurtes erlittenen Verletzungen zur Last fällt. Die im Zusammenhang mit einem Verstoß gegen die Schutzvorschrift erlittenen Unfallverletzungen weisen darauf hin, dass sich eben diejenige Gefahr verwirklicht hat, vor der geschützt werden soll. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Gewicht, das der Verletzung der Anschnallpflicht bei der Abwägung der Schadensbeiträge zukommt, nicht in allen Fällen konstant ist. Der Schadenersatzanspruch des nicht angegurteten Geschädigten darf daher gemäß § 254 BGB nur hinsichtlich derjenigen Ersatzansprüche gemindert werden, für die das Nichtangurten ursächlich war. Jedoch soll der Tatrichter aus Gründen der Praktikabilität hinsichtlich der einzelnen Verletzungen, die auf einen Verstoß gegen die Gurtpflicht zurückzuführen sind und denjenigen Verletzungen, die nicht auf einen Verstoß gegen die Gurtpflicht zurückzuführen sind, unter Beachtung der sonstigen schmerzensgeldbildenden Faktoren eine einheitliche Quote auswerfen.
Bei dem auf den Verstoß gegen § 21a StVO gestützten Mitverschuldenseinwand muss der für den Unfall Verantwortliche somit nach dem Beweismaßstab des § 286 ZPO nicht nur beweisen, dass der Verletzte nicht angeschnallt war, sondern er hat auch zu beweisen, dass dieses Versäumnis die Verletzungen – ganz oder zum Teil – verursacht hat. Insoweit verbleibende Zweifel gehen – wie immer beim Einwand des Mitverschuldens – auch hier zulasten des Schädigers.
Steht somit im ersten Schritt fest, dass der Geschädigte nicht angeschnallt war, ist im zweiten Schritt zur Bestimmung des Mitverschuldenseinwands seitens des Schädigers nach der Beweisregel des § 286 ZPO der Nachweis zu führen, dass jede erlittene Primärverletzung des Geschädigten unfallkausal auf den Verstoß gegen die Anschnallpflicht zurückzuführen ist, wobei in diesem Zusammenhang teilweise auch der Anscheinsbeweis sowohl bezüglich des Verstoßes gegen die Anschnallpflicht als auch bezüglich der Verletzungen hilfreich sein kann. In der Praxis kommt man allerdings bei einem komplexen Verletzungsbild in der Regel nicht um eine umfangreiche Beweisaufnahme durch Einholung eines technischen, biomechanischen und medizinischen Gutachtens herum.
Zur Lösung der Kausalitätsfragen im vorgegebenen Fallbeispiel soll die Beweisaufnahme (unterstellt) folgende Ergebnisse erbracht haben: Die multiplen Frakturen des Gesichtsschädels, die multiplen Schnittwunden im Gesicht, die Trümmerfraktur des Wirbels BWK 5/6 mit hierauf beruhender Querschnittslähmung einschließlich neurogener Harnblasen- und Darmentleerungsstörung, die Fraktur des Sternums und mehrerer Rippen sowie ein Großteil der erlittenen Prellungen sind darauf zurückzuführen, dass der Geschädigte nicht angeschnallt war. Die Fraktur des rechten Sprunggelenks, der rechten Kniescheibe, des rechten Handgelenks sowie die Luxationsfraktur des Hüftgelenks rechts wären auch eingetreten – zumindest konnte insofern vom Schädiger der Beweis nach § 286 ZPO nicht geführt werden –, wenn der Geschädigt...