FeV § 3; GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Art. 3 Abs. 1; StVG § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y
Leitsatz
§ 3 FeV regelt die Anforderungen an die Eignung zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen nicht hinreichend bestimmt und kann daher als Rechtsgrundlage für behördliche Untersagungen nicht herangezogen werden (Anschluss an BayVGH, Urt. v. 17.4.2023 – 11 BV 22.1234 [zfs 2023, 474]).
OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20.3.2024 – 10 A 10971/23.OVG (rechtskräftig)
1 Aus den Gründen: „…
Der Bescheid vom 8.2.2023, mit dem der Bekl. der Kl. das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr untersagt und sie aufgefordert hat, ihre Mofaprüfbescheinigung spätestens drei Tage nach Zustellung des Bescheids bei ihm abzugeben, sowie der Widerspruchsbescheid vom 15.5.2023 sind rechtswidrig und verletzen die Kl. in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), da die für die Untersagung herangezogene Rechtsgrundlage des § 3 FeV v. 13.12.2010 (BGBl I S. 1980) –, diese zuletzt geändert durch die Verordnung vom 20.7.2023 (BGBl I Nr. 199), unwirksam ist. Sie genügt dem aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG folgenden Bestimmtheitsgebot sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht (vgl. BayVGH, Urt. v. 17.4.2023 – 11 BV 22.1234 –, juris Rn 30 [zfs 2023, 474]; Beschl. v. 12.7.2023 – 11 CS 23.551 –, juris Rn 10; Beschl. v. 25.7.2023 – 11 CS 23.125 –, juris Rn 26; VG Schwerin, Beschl. v. 27.7.2023 – 6 B 1855/22 SN –, juris Rn 22; Müller/Rebler, DAR 2023, 437 [440 f.]; offen gelassen hinsichtlich § 3 Abs. 2 FeV in BVerwG, Urt. v. 4.12.2020 – 3 C 5.20 –, BVerwGE 171, 1 = juris Rn 38; SaarlOVG, Beschl. v. 3.5.2021 – 1 B 30/21[zfs 2021, 595, Leits.], juris Rn 40 ff.; zweifelnd auch Zwerger, jurisPR-VerkR 18/2022 Anm. 1; a.A. wohl OVG Nds, Beschl. v. 23.8.2023 – 12 ME 93/23 [DAR 2023, 589 = NZV 2024, 149], juris Rn 10, jedenfalls bei der "typischen Fallgestaltung" des im Anschluss an eine Trunkenheitsfahrt mit mehr als 1,6 ‰ BAK mit dem Fahrrad ausgesprochenen Verbots; Ternig, NZV 2024, 149; VG Gelsenkirchen, Beschl v. 16.11.2023 – 7 L 1617/23 –, juris).
I. Rechtsgrundlage für die mit Bescheid vom 8.2.2023 verfügte Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge aller Art im öffentlichen Straßenverkehr ist § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. y StVG in der Fassung bis zum 27.7.2021 – StVG a.F. – i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 FeV in seiner aktuellen Fassung v. 21.12.2016 (BGBl I S. 3083). Demgegenüber ist als Verordnungsermächtigung nicht § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b und d, Abs. 3 Nr. 1 StVG in der Fassung vom 12.7.2021 (BGBl I S. 3091) heranzuziehen, weil für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Norm mit höherrangigem Recht auf den Zeitpunkt ihres Erlasses abzustellen ist und der Wegfall oder die Änderung der dem Erlass einer Rechtsverordnung zugrundeliegenden Ermächtigungsnorm jene grundsätzlich unberührt lässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2015 – 9 C 23.14 –, juris Rn 10; Urt. v. 6.10.1989 – 4 C 11.86 –, juris Rn 10; BVerfG, Beschl. v. 10.5.1988 – 1 BvR 482/84 u.a. –, BVerfGE 78, 179 = juris Rn 55; Beschl. v. 25.7.1962 – 2 BvL 4/62 –, BVerfGE 14, 245 = juris Rn 16; Beschl. v. 23.3.1977 – 2 BvR 812/74 –, BVerfGE 44, 216 = juris Rn 26; BayVGH m.w.N., Urt. v. 17.4.2023 – 11 BV 22.1234 [zfs 2023, 474], juris Rn 21 m.w.N.; Remmert, in: Dürig/Herzog/Scholz [Hrsg.], GG Kommentar, Stand: August 2023, Art. 80 Rn 51; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 3 FeV Rn 10a).
II. Die Rechtsgrundlage für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr des § 3 Abs. 1 S. 1 FeV verletzt das aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG abgeleitete Bestimmtheitsgebot (vgl. BayVGH, Urt. v. 17.4.2023 – 11 BV 22.1234 [zfs 2023, 474], juris Rn 33 ff.; Beschl. v. 25.7.2023 – 11 CS 23.125 –, juris Rn 26 ff.; a.A. wohl OVG Nds, Beschl. v. 23.8.2023 – 12 ME 93/23 –, juris Rn 10, jedenfalls bei der "typischen Fallgestaltung" des im Anschluss an eine Trunkenheitsfahrt mit mehr als 1,6 ‰ BAK mit dem Fahrrad ausgesprochenen Verbots; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 16.11.2023 – 7 L 1617/23 –, juris Rn 80 ff.; Ternig, NZV 2024, 149).
1. Nach dem allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gründenden Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze ist der Gesetzgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können. Die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Norm dienen ferner dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen sowie die Gerichte in die Lage zu versetzen, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren. Dies setzt voraus, dass hinreichend klare Maßstäbe bereitgestellt werden. Die Entscheidung über die Grenzen der Freiheit des Bürgers darf nicht einseitig in das Ermessen der Verwaltung oder gar Privater ...