StVG § 7 § 17; StVO § 1 Abs. 2 § 14
Leitsatz
Bleibt bei einer Kollision mit einer geöffneten Fahrzeugtür offen, ob die Tür während der Vorbeifahrt weiter geöffnet wurde, kommt eine Alleinhaftung des Vorbeifahrenden regelmäßig nicht in Betracht.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 5.7.2024 – 3 U 16/24
1 Sachverhalt
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 13.1.2022 in der … in … ereignet hat.
Dort hatte die Zweitbeklagte den von ihr geführten, bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten Pkw Fiat Panda (amtl. Kz.: …) etwa in Höhe der Hausnummer 8 in einer am rechten Fahrbandrand befindlichen Parkbucht geparkt. Der Zeuge … befuhr mit dem Klägerfahrzeug VW Golf VI Plus Team (amtl. Kz.: …) die … in Richtung des dort befindlichen Kreisels. Bei der Vorbeifahrt kollidierte das Klägerfahrzeug mit der hinteren linken Tür des Beklagtenfahrzeugs. Der genaue Unfallhergang steht zwischen den Parteien im Streit.
Mit der Klage hat die Klägerin von den Beklagten bei Annahme deren Alleinhaftung die Zahlung von 6.479,36 EUR (4.245,– EUR Wiederbeschaffungsaufwand + 1.104,56 EUR Sachverständigenkosten + 84,80 EUR An- und Abmeldekosten + 1.015,– EUR Nutzungsausfall + 30,– EUR Unkostenpauschale) nebst Zinsen und 713,76 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten verlangt. Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht, auf dessen tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Zeuge … habe gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, da er mit einem Seitenabstand von lediglich 55 cm an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren sei, obwohl er die in der geöffneten Tür stehende Zweitbeklagte erkannt habe. Da es ihm möglich gewesen sei, einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten bzw. bei Gegenverkehr anzuhalten, überwiege der Sorgfaltsverstoß des Zeugen so sehr, dass der Verstoß der Zweitbeklagten gegen § 14 Satz 1 StVO dahinter zurücktrete.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Anspruch in hälftiger Höhe unter Berufung auf eine 50 %ige Mithaftung der Beklagten weiter verfolgt. Die Beklagten sind dem entgegengetreten und verteidigen die angefochtene Entscheidung.
2 Aus den Gründen:
II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. In der Sache hat sie überwiegend Erfolg.
1. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Hiergegen wenden sich die Parteien nicht.
2. Soweit das Landgericht im Rahmen der danach gem. § 17 StVG gebotenen Entscheidung über eine Haftungsverteilung auf Beklagtenseite einen Verstoß der Zweitbeklagten gegen § 14 Satz 1 StVO angenommen hat, nimmt die Berufung das als für sie günstig hin. Dies begegnet auch keinen Bedenken.
a) Nach § 14 Abs. 1 StVO muss, wer ein- oder aussteigt, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die Vorschrift dient in erster Linie dem Schutz des fließenden Verkehrs und verlangt von dem Aussteigenden ein Höchstmaß an Sorgfalt (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.3.2020 – 1 U 101/19, Rn 35, juris). Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer des Ein- oder Aussteigevorgangs, mithin für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, wobei der Vorgang des Einsteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre, der Vorgang des Aussteigens erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist. Erfasst sind dabei insbesondere auch Situationen, in denen der Insasse eines Kraftfahrzeugs sich im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kraftfahrzeug beugt, um etwa Gegenstände ein- oder auszuladen (vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2009 – VI ZR 316/08, Rn 11, juris). Da das Ein- und Aussteigen zur Fahrbahnseite regelmäßig mit besonderen Gefahren verbunden ist, ist der Vorgang so zügig wie irgend möglich durchzuführen und darf die Tür nicht länger offengelassen werden als unbedingt notwendig (vgl. OLG Celle, Urt. v. 4.12.2019 – 14 U 127/19, Rn 41, juris; KG Berlin, Beschl. v. 22.11.2007 – 12 U 199/06, Rn 17, juris). Kommt es – wie hier – im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ein-/Aussteigevorgang zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden (vgl. BGH, Urt. v. 6.10.2009 – VI ZR 316/08 –, Rn 12, juris; Senat, Urt. v. 24.3.2023 – 3 U 9/23, Rn 15, juris).