I. Die Parteien streiten im Wege der Feststellungsklage um die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung materiellen und immateriellen Schadensersatzes aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 18.3.2021 in Lüdinghausen, bei dem der damals zehn Jahre und zwei Monate alte Kläger als Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn mit dem Pkw der Beklagten kollidierte und schwerstverletzt wurde.
Der Kläger und sein zum Unfallzeitpunkt elf Jahre alter Freund, der Zeuge A, näherten sich im Laufschritt der B Straße aus einem Stichweg, der auf den Gehweg mündet, in der Absicht, die Straße zu überqueren. Auf der B Straße hatte sich zu dieser Zeit auf der von den Jungen zunächst zu überquerenden Richtungsfahrbahn ein Rückstau von wartenden Fahrzeugen gebildet, nachdem sich die Schranken eines weiter entfernten Bahnübergangs geschlossen hatten. Die beiden Kinder betraten im Laufschritt die blockierte Richtungsfahrbahn zwischen den Fahrzeugen und jedenfalls der Kläger lief, ohne anzuhalten oder zu schauen, zwischen den wartenden Fahrzeugen weiter auf die Gegenfahrbahn. Auf dieser näherte sich zu diesem Zeitpunkt die von einer vor dem Bahnübergang gelegenen Einmündung nach rechts auf die B Straße eingebogene Beklagte in ihrem Pkw. Der Kläger wurde von dem Pkw der Beklagten frontal erfasst und auf den Gehweg der jenseitigen Fahrbahnseite geschleudert. Hierdurch erlitt er unstreitig schwerste (vor allem Kopf-)Verletzungen.
Bezüglich der Einzelheiten des jeweiligen erstinstanzlichen Parteivortrages und der Anträge wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Münster verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen C vollumfänglich abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger infolge des Unfalls kein Anspruch gem. §§ 7, 18 StVG, § 823 BGB gegen die Beklagte zustehe, da eine Abwägung der Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB dazu führe, dass die bloße Betriebsgefahr des nach den sachverständigen unfallanalytischen Feststellungen leicht unterhalb der zulässigen Geschwindigkeitsgrenze von 50 km/h geführten Pkw der Beklagten vollständig hinter dem schwerwiegenden Verkehrsverstoß des Klägers gegen § 25 Abs. 3 StVO zurücktrete. Er habe sich vor dem Überqueren der Fahrbahn nicht vergewissert, ob sich auf der Gegenfahrbahn ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeug nähere. Dieser Verstoß sei dem Kläger auch altersspezifisch subjektiv besonders vorwerfbar.
Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts sowie Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung rügt und sein erstinstanzliches Klagebegehren – unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt.
Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass seine Haftung ausgeschlossen sei, da er die erforderliche Verantwortlichkeit nicht gehabt habe. Das Landgericht habe diese nur unterstellt, nicht festgestellt und insoweit auch das Angebot der Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens übergangen. Soweit das Landgericht von einem schuldhaften Verhalten ausgehe, habe es die besondere verkehrsspezifische Situation des Rückstaus der Fahrzeuge auf einer Fahrbahnhälfte und den typisch kindlichen Rückschluss, dass dann auch von der Gegenseite aus kein Verkehr komme und er die Straße deswegen insgesamt queren könne, vernachlässigt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Münster, zu Az.: 016 O 95/22, verkündet am 6.10.2023, abzuändern und nach den Schlussanträgen des Klägers in I. Instanz zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zur hinreichenden Einsichtsfähigkeit und zum grob schuldhaften Verhalten – die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch erstmalige Vernehmung der Zeugen A, D, E, F und G sowie durch ergänzende mündliche Anhörung des Sachverständigen C. Die Akte 83 Js 1073/21 StA Münster war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll und den Berichterstattervermerk vom 25.6.2024 Bezug genommen.