Der 50. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2012 wirft seine Schatten voraus. Praktiker und Rechtsgelehrte aller Couleur versammeln sich in Goslar, um im Arbeitskreis I über Schmerzensgeldansprüche naher Angehöriger von Unfallopfern zu diskutieren und um möglicherweise dem Gesetzgeber Empfehlungen auszusprechen.
Als Praktiker "an der Basis", mithin als Rechtsanwalt, der zivilrechtliche Ansprüche schwerstverletzter Unfallopfer reguliert, ist man immer auch den Fragen der Angehörigen nach ihrem eigenen Anspruch auf Schmerzensgeld ausgesetzt. Oftmals drängt sich dieser Anspruch ganz von selbst auf, wenn man das familiäre Umfeld eines Unfallopfers betritt. Ehepartner/Lebenspartner, Eltern, Geschwister und Kinder eines Unfallopfers ebenso wie Freunde werden krank, vernachlässigen sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse im Angesicht der Folgen, die ein Unfall bei einem anderen Familienmitglied ausgelöst hat. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind die folgenden physischen sowie psychischen Diagnosen feststellbar: Depressionen mit und ohne neurotischem Charakter, Angst- und Panikattacken, Schlafstörungen, Albträume, suizidale Gedanken, posttraumatische Belastungsstörung, psychovegetative Beschwerden, beruflicher/schulischer Leistungsabfall, psychotische Symptome, Unruhezustände, Affektdurchbrüche, Hoffnungslosigkeit, tief dysphorische Stimmung, eingeschränkte Stimmungsfähigkeit geprägt von tiefer Resignation und Hoffnungslosigkeit, Aufmerksamkeitsstörung, Konzentrationsstörung, verlangsamtes Denken, gestörter Sozialkontakt, Antriebsminderung, Schock, Nervenzusammenbruch, Entstehen von Alkohol- und Drogenabhängigkeit.
Nach der herkömmlichen Rechtsprechung ist der Anspruch auf Angehörigenschmerzensgeld auf Familienangehörige begrenzt, die a) entweder den Unfall persönlich miterlebt haben, bei dem ein Angehöriger schwer verletzt oder getötet wurde oder b) die einen Schock bei der Übermittlung der Todesnachricht eines nahen Angehörigen erlitten haben. In beiden Fällen muss die daraus resultierende Gesundheitsverletzung einen eigenen Krankheitswert haben, der über lediglich vorübergehende gesundheitliche Störungen im Sinne einer "normalen Trauerreaktion" hinaus geht.
Auffällig ist die Tatsache, dass oftmals identische psychische und somatoforme Verletzungsbilder beim Geschädigten selbst und beim Angehörigen feststellbar sind.
Medizinisch handelt es sich bei diesen Beschwerdebildern um die Diagnosen in der Form der ICD 10–F und ICD 10-G Verschlüsselung.
Diese spiegeln sich dann wider in Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 ("GdS-Tabelle").
Um also in der Praxis einen Anspruch auf Schmerzensgeld regulieren zu können, bedarf es der medizinischen Feststellung eines pathologischen Zustandes im Sinne der vorgenannten Indikationen. Prädestinierte Fachrichtung für die Diagnose und Behandlung ist die Psychologie – nicht die Psychiatrie und auch nicht die Neurologie.
Sowohl nach der traditionellen Rechtsprechung als auch nach dem in Teil A dargestellten Konzept ist es unabdingbar, den eigenen Krankheitswert beim Angehörigen zu definieren, den der Unfall vermittelt hat.
Nach der hier – siehe Teil A – vertretenen Auffassung kommt es nicht darauf an, dass physische und/oder psychische Unfallfolgen beim Angehörigen dauerhaft feststellbar sind. Es genügt die einmalige Diagnose im Sinne der ICD 10-F bzw. ICD 10-G Verschlüsselung. Ist darüber hinaus ein dauerhafter Krankheitswert feststellbar, leitet sich zwanglos eine Eingruppierung in Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 ab. Diese impliziert einen dauerhaften Zustand von mindestens sechs Monaten. Somit kann dem Angehörigen durchaus ein eigener GdS zuerkannt werden.
Dem regulierenden Rechtsanwalt ist an dieser Stelle dringend zu raten, mindestens eine schriftliche Feststellung der unfallkausalen Gesundheitsstörungen beim Angehörigen des Unfallopfers vom behandelnden Arzt/Psychologen einzuholen. Erforderlichenfalls kann dieses auch in Gutachtenform erfolgen, wobei jedoch der Kostenrahmen zuvor mit dem Arzt/Psychologen für sein Tätigwerden besprochen werden sollte. Selbstredend sind die anfallenden Kosten ihrerseits wieder Schadensersatzposition beim Schädiger. Jedoch ist zunächst der eigene Mandant als Auftraggeber gegenüber dem Gutachter vorschusspflichtig für diese Kosten. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollte ein spezialisierter Rechtsanwalt mit dem eintrittspflichtigen Versicherer besprechen und im Rahmen von zu beauftragendem Personenschadensmanagement umsetzen. Das kann in der Form geschehen, dass z.B. die Angehörigen in Spezialkliniken bzw. spezialisierten Reha-Einrichtungen so früh wie möglich professionell therapiert werden. Die Win-Win-Situation für beide Seiten liegt auf der Hand: der Leidensweg des Angehörigen wird deutlich gemildert und der Versicherer kann so den Schaden finanziell begrenzen.
Ganz wichtig für die Praxis ist, dass es in allen diesen Fällen nicht "nur" um die Regulierung von Schmerzens...