Heute sind die Voraussetzungen für die Zubilligung eines Schmerzensgeldes wegen eines Schockschadens sehr eng. Ausgangspunkt ist die Entscheidung des BGH vom 5.11.1971 an der die Rechtsprechung bis heute festhält. Voraussetzung ist
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ein enges Angehörigenverhältnis zum unmittelbar Geschädigten. Hinzukommen müssen psycho-pathologische Ausfälle von einiger Dauer, die die gewöhnliche bei einem derartigen Unglücksfall auftretenden Reaktionen und Nachteile deutlich übersteigen. |
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Es darf sich nicht nur um das übliche im Hinblick auf den Schicksalsschlag verständliche Unwohlsein handeln, d.h. |
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ein selbständiger Schmerzensgeldanspruch steht nur demjenigen zu, bei dem eine ungewöhnliche "traumatische Auswirkung des Unfallerlebens oder der Unfallnachricht sich in einer echten körperlichen oder geistig/seelischen Gesundheitsschädigung verwirklicht". |
In der Rechtsprechung wird deutlich, wie schwer es festzustellen ist, wann sich eine ungewöhnliche, traumatische Auswirkung des Unfallerlebens in einer echten körperlichen oder geistig/seelischen Gesundheitsschädigung verwirklicht. Wenn Eltern den Tod ihres neun Jahre alten Jungen durch Ertrinken im Freibad erleben, soll diese Schwelle nicht erreicht sein. Auch Angehörige, die miterleben müssen, wie die Persönlichkeitsstruktur eines Patienten verfällt, bevor er stirbt, müssen dies nach Meinung des OLG Düsseldorf entschädigungslos hinnehmen. Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und Depressionen sind, so das OLG Hamm, noch die typischen Folgen des Verlusts eines nahen Angehörigen; dafür gibt es kein Schmerzensgeld.
Eltern, die ihre drei Kinder verloren haben, wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 EUR (Vater) und 20.000 EUR (Mutter) zugebilligt. Der BGH hat die Revision und das BVerfG die Verfassungsbeschwerde der Eltern nicht angenommen. Das BVerfG hat zu Recht eine Gleichsetzung mit den Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abgelehnt, aber immerhin darauf hingewiesen, dass die Entschädigungssummen für die Fallgruppen nicht "zu sehr auseinander laufen". Wie allerdings und nach welchen Kriterien das Angehörigenschmerzensgeld in Fällen dieser Art zu bemessen ist, hat das BVerfG offen gelassen, so wie übrigens alle anderen Gerichte auch. Für die Höhe des jeweiligen Angehörigenschmerzensgeldes gibt es praktisch keinerlei Kriterien.
Das LG Heilbronn hat einer Mutter, die die Tötung ihrer siebzehn Jahre alten Tochter durch Messerstiche teilweise miterlebte, 2.500 EUR zugesprochen. In einem ähnlichen Fall hat das LG Münster (zehn Jahre später) der Mutter einer missbrauchten und anschließend ermordeten Tochter immerhin 10.000 EUR Schmerzensgeld gewährt.
Im Ergebnis kann man festhalten, dass zwei Grundfragen beim Angehörigenschmerzensgeld prinzipiell offen bleiben:
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Nach welchen Kriterien genau wird eine ungewöhnliche, traumatische Auswirkung von einer gewöhnlichen, hinzunehmenden Verletzung abgegrenzt? |
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Nach welchen Kriterien bemisst sich die Höhe des Schmerzensgeldes, wenn die Voraussetzungen eines "Schockschadens" vorliegen? |
Beide Fragen sind ungeklärt und verweisen auf grundsätzliche verfassungsrechtliche Defizite bei der Ausformung und Konkretisierung des Anspruchs aus § 253 Abs. 2 BGB für Angehörige. Ein verfassungskonformes System zur Gewährung und zur Zubilligung von Angehörigenschmerzensgeld wurde an anderer Stelle entwickelt. Danach würde der Angehörige auf der Grundlage seiner individuell notwendig werdenden ärztlichen Behandlung und der verbleibenden, dauerhaften Schädigung im Sinne des GdS sein Schmerzensgeld bemessen, wobei individuelle Zu- und Abschläge je nach Einzelfall zulässig sind und bleiben.
Sollten sich Rechtsprechung, Praxis und Gesetzgeber nicht dazu durchringen, dieses oder ein ähnliches System zu realisieren, so bleibt als Minimum die Forderung nach einer den Grundsätzen der Normenbestimmtheit und Normenklarheit entsprechenden Konkretisierung der Voraussetzungen für die Gewährung des Angehörigenschmerzensgeldes auf der Grundlage der bisherigen Schockschaden-Rechtsprechung.
Es muss vorhersehbar sein, wann ein Schockschaden vorliegt – hierfür müssten medizinisch nachvollziehbare Standards definiert werden, sodass es auch mithilfe medizinischer Sachverständiger möglich wird, den Schockschaden in Zukunft halbwegs zweifelsfrei zu erfassen. Darüber hinaus müssen Kriterien zur Bemessung der Höhe dieses Schockschadens entwickelt werden. In Anlehnung an die Grundsätze, die der Große Zivilsenat 1955 entwickelt hat, kommt es auch bei den Angehörigen auf die Dauer, Heftigkeit und Größe der Schmerzen und Leiden und insbesondere auf die daraus resultierende Lebensbeeinträchtigung an. Mit welchem Messsystem diese Lebensbeeinträchtigung allerdings zu erfassen ist, lässt sich schwer beantworten, wenn man dem an anderer Stelle entwickelten Ansatz der taggenauen Bemessung nicht zu folgen bereit sein sollte.
Jedenfalls sind die Kriterien für das Angehörigenschmerzensgeld derzeit derart unsicher und un...