VO (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3; Art. 6 Abs. 1; Art. 8 Abs. 1
Leitsatz
1. Beeinträchtigen außergewöhnliche Umstände (hier: ein Fluglotsenstreik) die Einhaltung des Flugplans eines Luftverkehrsunternehmens, kommt es für die Beurteilung der Frage, ob die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs darauf zurückgeht, nicht darauf an, ob der Flug von den Umständen unmittelbar betroffen ist oder die Umstände an demselben Tag bei einem der vorangehenden Flüge des für den annullierten oder verspäteten Flugs vorgesehenen Flugzeugs eingetreten sind.
2. Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer großen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen. Die Fluggastrechteverordnung begründet keine Verpflichtung der Luftverkehrsunternehmen, ohne konkreten Anlass Vorkehrungen wie etwa das Vorhalten von Ersatzflugzeugen zu treffen, um den Folgen außergewöhnlicher Umstände begegnen zu können.
3. Die Umbuchung von Fluggästen auf andere Flüge ist keine Maßnahme, um eine Annullierung oder eine große Verspätung zu vermeiden, sondern eine zusätzliche Möglichkeit, eine Ausgleichszahlung abzuwenden, obwohl eine Annullierung oder große Verspätung eingetreten ist. Dies gilt auch dann, wenn es im Einzelfall möglich gewesen wäre, alle Fluggäste eines annullierten oder verspäteten Flugs auf einen anderen Flug umzubuchen.
BGH, Urt. v. 12.6.2014 – X ZR 121/13
Sachverhalt
Die Kl. verlangen die Leistung einer Ausgleichszahlung von 250 EUR pro Person nach der FluggastrechtVO wegen großer Verspätung von gebuchten Flugreisen. Die Kl. hatten bei der Bekl. einen Flug von Stuttgart nach Palma de Mallorca gebucht. Geplante Abflugzeit sollte 12.25 Uhr, Ankunftszeit 14.20 Uhr sein. Abflug und Ankunft verzögerten sich um etwa 3 Stunden und vierzig Minuten. Ursache hierfür war ein Generalstreik, der in Griechenland stattfand, dem sich auch die Fluglotsen angeschlossen hatten. Er führte zu einer zeitweisen Sperrung des griechischen Luftraums. Er betraf den von dem Kl. gebuchten Flug am selben Tag und die vorangegangenen Flüge des eingesetzten Flugzeugs von München nach Korfu und von Korfu nach Stuttgart. Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. blieb erfolglos. Die von dem BG zugelassene Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[9] "… Den Kl. steht kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO zu. Zwar mussten sie bei dem Flug von Stuttgart nach Palma de Mallorca eine Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden hinnehmen, was grds. einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung begründet (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C-402/07, Slg. 2009, I-10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Sturgeon/Condor; Urt. v. 23.10.2012 – C-581/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Nelson/Lufthansa; BGH, Urt. v. 18.2.2010 – Xa ZR 95/06, NJW 2010, 2281 = RRa 2010, 93; Urt. v. 7.5.2013 – X ZR 127/11, RRa 2013, 237 = NJW-RR 2013, 1065). Die Verspätung ist jedoch durch von der Bekl. nicht zu vermeidende außergewöhnliche Umstände i.S.v. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung verursacht worden, die diesen Anspruch ausschließen."
[10] 1. Das BG hat zutreffend angenommen, dass der Streik der Fluglotsen in Griechenland, dessentwegen Eurocontrol die Kontrolle über den Luftraum übernommen und dem Flug von München nach Korfu eine spätere Startzeit zugeteilt hatte, geeignet war, außergewöhnliche Umstände i.S.d. Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO zu begründen.
[11] a) Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände, der weder in Art. 2 noch in sonstigen Vorschriften der Verordnung definiert ist, verlangt nach seinem Wortlaut, dass die ggf. zu einem Wegfall der Ausgleichspflicht führenden Umstände außergewöhnlich sind, das heißt nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als jedenfalls i.d.R. von außen kommende besondere Umstände seine ordnungs- und planmäßige Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Umstände, die im Zusammenhang mit einem dem Luftverkehr störenden Vorfall wie einem technischen Defekt auftreten, können nur dann als außergewöhnlich i.S.v. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das, wie die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung aufgezählten, nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftverkehrsunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – C-549/09, NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn 23 Wallentin-Hermann/Alitalia; Urteil Sturgeon/Condor, a.a.O.; Urt. v. 31.1.2013 – C-12/11, NJW 2013, 921 = RRa 2013, 81 Mc...