1. Bei der Haftungsabwägung der Anteile an dem Eintritt des Unfalls kann die den Fahrer und Halter des Kfz treffende Gefährdungshaftung dann zurücktreten, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache durch ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten geprägt ist. Das entspricht nach st. Rspr. der Wertung der §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB (vgl. BGH VersR 1956, 238; BGH VersR 1990, 335, 336; BGH, Urt. v. 24.9.2013 – VI ZR 255/12, Rn 7). Zu einer Verschiebung der Haftungsverteilung zulasten des an dem Fußgängerunfall beteiligten, der Gefährdungshaftung unterliegenden Halters und Fahrers des Kfz hat die Reform des Schadensrechts mit seiner Verschärfung des § 7 StVG durch Abschaffung der Möglichkeit des Unabwendbarkeitsnachweises nichts geändert. Nach wie vor tritt bei der Haftungsabwägung die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Kfz hinter dem groben Verschulden des Fußgängers zurück und kann die Quote der Haftung des Kfz-Halters auf Null sinken (vgl. OLG Saarbrücken MDR 2011, 537; OLG Hamm NZV 2011, 25; OLG Celle MDR 2004, 994; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 9 StVO Rn 18; Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, § 9 StVG Rn 46).

2. Voraussetzung für diese dem Geschädigten nachteilige Haftungsverteilung ist es jedoch, dass die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten möglich ist (BGH, Urt. v. 24.9.2013 – VI ZR 255/12, Rn 7). Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen unstreitig oder erwiesen und vor allem für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein (vgl. BGH VersR 1961, 249, 250; BGH NJW 2013, 2018 Rn 34). Die erhebliche Alkoholisierung des geschädigten Fußgängers weckt keine Zweifel an dem Vorliegen des haftungsbegründenden Eigenverschuldens des Geschädigten. Selbst wenn dem Fußgänger aufgrund seiner Alkoholisierung nicht nur deren Mitursächlichkeit vorgeworfen werden könnte, würde die – freilich nicht zwingende – Ableitung eines die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustandes hieraus nicht zu einer Annahme fehlender Verantwortlichkeit des Geschädigten führen. Zwar besteht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2,0 ‰ die Trunkenheit des Fußgängers mitursächlich für den erlittenen Unfall gewesen ist (vgl. Haus/Krumm/Quarch, a.a.O., § 25 StVO Rn 63). Da aber eine feste Grenze für den Ausschluss der Verantwortlichkeit des geschädigten Fußgängers nicht besteht (vgl. BGH zfs 2009, 98; Haus/Krumm/Quarch, a.a.O. § 827 BGB Rn 13), kann erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 3,0 ‰ ein Ausschluss der Willensbestimmung angenommen werden (vgl. OLG Zweibrücken r+s 2000, 106; Haus/Krumm/Quarch, a.a.O., § 827 BGB, Rn 13).

Im Übrigen würde selbst ein Erreichen des Ausschlusses der freien Willensbestimmung aufgrund der Alkoholisierung nicht die Annahme des Ausschlusses der freien Willensbestimmung tragen, da der Fußgänger nach § 827 S. 2 BGB in gleicher Weise verantwortlich bleibt, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele. Da der Lkw-Fahrer den geschädigten Fußgänger bei der selbstgefährdenden Handlung nicht wahrnehmen konnte, schieden alle etwaigen Verschuldensgründe als mitursächlich für eine Haftungsbeteiligung des Fahrers des Lastzuges aus, so dass nur die hinter dem Eigenhaftungsanteil des Geschädigten zurücktretende Betriebsgefahr des Lastzuges in die Haftungsabwägung einzustellen und zu vernachlässigen war. Rechtsprechung, wonach bei Unfällen alkoholisierter Fußgänger mit Kfz Eigenhaftungsanteile des Halters und Fahrers des unfallbeteiligten Fahrzeugs berücksichtigt wurden, lagen Konstellationen zugrunde, in denen der Kfz-Fahrer den alkoholisierten Fußgänger bemerkt hatte oder hätte bemerken müssen (vgl. KG VersR 1975, 140; OLG Celle VersR 1953, 290; OLG Köln VersR 1987, 513; OLG Köln VersR 1987, 33). Diese Erwägungen können auf den vorliegend entschiedenen Fall, in dem Sorgfaltspflichtverletzungen des Fahrers des Lastzuges nicht vorlagen, nicht übertragen werden.

RiOLG a.D. Heinz Diehl

zfs 1/2016, S. 17 - 20

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