StVG § 7 § 17 § 18; StVO § 3 § 8
Leitsatz
Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (hier: 121 km/h statt zugelassener 50 km/h) durch einen vorfahrtsberechtigten Motorradfahrer gegenüber einem aus einer rechtsseitig gelegenen, untergeordneten Autobahnabfahrt nach links abbiegenden Pkw-Fahrer rechtfertigt eine Haftungsverteilung von 30 % zu 70 % zu Lasten des Motorradfahrers.
OLG Hamm, Urt. v. 23.2.2016 – I-9 U 43/15
Sachverhalt
Die klagende Krankenversicherung macht die Verurteilung des Unfallgegners ihres VN auf Feststellung der anteiligen Ersatzpflicht der Bekl. und dessen Haftpflichtversicherung für Aufwendungen geltend, die sie gegenüber ihrem VN im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall künftig erbringen wird. Der VN der Kl. befuhr mit einem Motorrad eine vorfahrtsberechtigte Landstraße. Auf dieser war zunächst eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erlaubt. Im Bereich der aus der Sicht des VN der Kl. von rechts einmündenden Autobahnabfahrt wurde durch das Verkehrszeichen 274 eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h angeordnet. Der VN der Kl. hielt jedoch eine Geschwindigkeit von mindestens 121 km/h ein. Der Bekl. zu 1), der sich auf der Autobahnabfahrt befand, hielt im Einmündungsbereich zunächst an und nahm das sich nähernde Krad des VN der Kl. in einer Entfernung von mindestens 170 m wahr. Er bog mit seinem Fahrzeug in die Einmündung mit einer Anfahrbeschleunigung von 1 m/sec ein, um nach links in die Landstraße einzubiegen. Der VN der Kl. leitete bei der Wahrnehmung des Einbiegevorgangs des Bekl. zu 1) ein Bremsmanöver ein und geriet mit seinem Fahrzeug in die Linksabbiegerspur des Gegenverkehrs. Dabei stießen das Motorrad des VN der Kl. und der Pkw des Bekl. zu 1) zusammen. Der VN der Kl. wurde schwer verletzt.
Die Kl. hat die Feststellung begehrt, dass die Bekl. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Kl. ein Drittel der auf sie übergegangenen Ansprüche auf Ersatz der Aufwendungen zu erstatten, die künftig erforderlich sind, um die Verletzungen ihres VN zu behandeln.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte überwiegend Erfolg.
2 Aus den Gründen:
" … II. 1. Die hier – wegen der bei Klageerhebung unstreitig noch in Fortentwicklung befindlichen Schadensentwicklung zulässigerweise – insgesamt im Wege des Feststellungsbegehrens verfolgten Ansprüche der Kl. auf anteiligen Ersatz der (unstreitig) von ihr getragenen bzw. noch zu tragenden Aufwendungen für die Behandlung unfallbedingter Verletzungen und Verletzungsfolgen ihres Versicherten D aus dessen gem. § 116 SGB X auf die Kl. übergegangenem Recht sind teilweise, nämlich zu einer Haftungsquote der Bekl. von 30 %, aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, § 823 Abs. 1, 254 BGB, § 115 Abs. 1 VVG begründet."
a. Der streitgegenständliche Unfall, bei dem unstreitig der Versicherte D der Kl. erheblich verletzt worden ist, hat sich zweifellos i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG beim Betrieb des vom Bekl. zu 1) geführten und gehaltenen sowie bei der Bekl. zu 2) versicherten VW Touran ereignet.
Höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG liegt nicht vor.
Ein Unabwendbarkeit des Unfalls i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG ist für keine Seite positiv feststellbar.
b. Danach kommt es für die Frage der Haftung der Bekl. maßgeblich auf die Abwägung der Verursachungsbeiträge des Versicherten der Kl. einerseits und des Bekl. zu 1) andererseits an, bei der jeweils zu Lasten einer Seite nur unstreitige bzw. bewiesene Umstände berücksichtigt werden können. Diese Abwägung führt nach Auffassung des Senats hier zu einer Haftungsquote der Bekl. von 30 %.
aa. Auf beiden Seiten ist zunächst die Betriebsgefahr des jeweiligen Fahrzeugs zu berücksichtigen.
bb. Darüber hinaus ist aus Sicht des Senats auf beiden Seiten ein die Betriebsgefahr weiter erhöhendes unfallursächliches Verschulden der beteiligten Fahrzeugführer anzunehmen.
(1) Auf Seiten des Versicherten der Kl. liegt – dies stellt die Kl. nicht in Abrede – eine massive Tempoüberschreitung (nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen feststellbares Mindesttempo von 121 km/h statt erlaubter 50 km/h) vor. Diese Geschwindigkeitsüberschreitung hat sich nach den auch insoweit nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen T auch unfallursächlich ausgewirkt; danach hätte, wäre das Motorrad – namentlich zum Zeitpunkt der Reaktion seines Fahrers – nur mit den zulässigen 50 km/h bewegt worden, der Pkw des Bekl. zu 1) den Kollisionsbereich bei Eintreffen des Motorrads in jedem Fall längst verlassen.
(2) Soweit das LG in die Abwägung zu Lasten der Kl. auch einen Verstoß ihres Versicherten gegen das Rechtsfahrgebot eingestellt hat, begegnet dies – unabhängig von der Frage der Vorwerfbarkeit der diesbezüglichen Ausweichreaktion – jedenfalls deshalb Bedenken, weil das Rechtsfahrgebot nicht den Schutz von aus Einmündungen einbiegender Verkehrsteilnehmer bezweckt (vgl. dazu nur Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27, Rn 58 f. m.w.N. aus der Rspr.). Auch eine relevante weitere Betriebsgefahrerhöhung vermag der Senat insow...