I. Einleitung
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert um bis zu 30 % übersteigen, voraus, dass der Geschädigte Interesse an der vollständigen Erhaltung des Kraftfahrzeugs hat. Dieses Integritätsinteresse kann der Geschädigte dadurch dokumentieren, dass er das Fahrzeug fachgerecht und vollständig instandsetzt und tatsächlich weiternutzt. Die erforderliche Dauer dieser Weiternutzung wurde in der Instanzrechtsprechung lange Zeit unterschiedlich beurteilt. Der BGH hat nun sowohl für die Fälle der fiktiven als auch der konkreten Abrechnung eine Dauer von mindestens sechs Monaten für erforderlich angesehen. Zur Frage der Fälligkeit musste sich der Bundesgerichtshof dabei nicht äußern, weil die Fahrzeuge jeweils bereits vor Ablauf der sechsmonatigen Frist der Weiternutzung veräußert wurden. Ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten bestand hier von Anfang an nicht, weil das erforderliche Integritätsinteresse nicht nachgewiesen wurde.
Der Frage der Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug vollständig und fachgerecht in einer Reparaturwerkstatt reparieren lässt und die Reparaturkosten in Rechnung gestellt bekommt. Er sieht sich dann einer sofort fälligen Forderung des Werkunternehmers ausgesetzt, die normalerweise durch seinen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schaden gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer kompensiert würde. Vertritt man aber die Auffassung, der Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten werde in den 130-%-Fällen erst nach Ablauf der Frist von sechs Monaten fällig, müsste der Geschädigte entweder aus eigenen Mitteln in Vorlage treten oder die Zahlung an die Werkstatt sechs Monate lang schuldig bleiben.
II. Regulierungspraxis der Kfz-Haftpflichtversicherer
Bis zur Entscheidung des BGH vom 13.11.2007 existierte kein Streit um die Frage der Fälligkeit des Schadensersatzanspruchs. Hatte der Geschädigte nachgewiesen, dass das Fahrzeug vollständig und fachgerecht repariert worden war, erhielt er vom Versicherer den geforderten Reparaturkostenbetrag. Hierbei machte es keinen Unterschied, ob die Abrechnung fiktiv, auf Basis des Sachverständigengutachtens oder konkret, durch Nachweis der tatsächlich entstandenen Reparaturkosten erfolgte. Stellte sich heraus, dass der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich nicht selbst weiternutzte, konnte der Versicherer die Differenz zwischen Reparaturkosten und Wiederbeschaffungsaufwand zurückfordern.
Erst seit der o.g. Entscheidung des BGH gingen die Versicherer dazu über, einen Nachweis der Weiternutzung für die Dauer von mindestens sechs Monaten zu fordern. Bis dahin erhält der Geschädigte selbst nach Vorlage einer Reparaturkostenrechnung lediglich den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt. Bei hohen Restwerten und hohen Reparaturkosten führt dies zu einer erheblichen Finanzierungslücke auf Seiten des Geschädigten für die Dauer von mindestens sechs Monaten.
Beispiel: |
Wiederbeschaffungswert |
15.000,– EUR |
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Restwert |
5.000,– EUR |
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Reparaturkosten |
19.000,– EUR |
Bei Abrechnung auf Totalschadenbasis erhält der Geschädigte 10.000,-- EUR vom Versicherer. Die reparaturausführende Werkstatt verlangt von ihm 19.000,-- EUR. Die Differenz von 9.000,-- EUR muss der Geschädigte aus eigenen Mitteln begleichen.
Die Entwicklung der Regulierungspraxis seit Bestimmung der Weiternutzungsdauer durch den BGH ist insofern bemerkenswert, als in der Entscheidung zur Fälligkeit gar keine Aussage getroffen wird. Bereits vor dieser Entscheidung entsprach es herrschender Meinung, dass der Geschädigte nicht nur vollständig und fachgerecht reparieren, sondern das Fahrzeug auch tatsächlich weiternutzen musste. Lediglich über die Dauer der Weiternutzung bestand Streit. Gleichwohl wurden die Reparaturkosten seitens der Versicherer ersetzt, sobald nur der Nachweis einer vollständigen und fachgerechten Reparatur geführt worden war. Kein Versicherer verlangte einen Nachweis über die Weiternutzung für welchen Zeitraum auch immer.
Es stellt sich deshalb die Frage, was die Versicherer zur Änderung ihrer Regulierungspraxis bewogen hat. Vermutlich knüpft diese Änderung an eine Aussage im Urteil des BGH vom 25.3.2006 an. Dort heißt es im Rahmen der Begründung der Dauer von sechs Monaten: "Andererseits ist zu berücksichtigen, dass eine längere Frist für die Möglichkeit einer Abrechnung mit Abzug des Restwerts den Schädiger und seinen Versicherer begünstigen bzw. zur Verzögerung der Abrechnung veranlassen könnte und von daher dem Geschädigten nicht zumutbar wäre." Diese Befürchtung des BGH scheint als Aufforderung aufgefasst worden zu sein. Die 130-%-Rechtsprechung des BGH ist der Versicherungswirtschaft auf Grund der damit verbundenen erheblich höheren Schadensaufwendungen ohnehin ein Dorn im Auge. Die Aussicht auf eine Zwischenfinanzierung durch den Geschädigten in oft beträchtlichem Umfang, wird so manchen Anspruchsteller dav...