AHB § 4 Nr. II 1. S. 1
Leitsatz
Verletzt ein Versicherungsnehmer eine Begleiterin bei einem Konzert durch eine Art "stage-diving", so nimmt er zwar gewisse körperliche Schäden wie Prellungen, Zerrungen oder Stauchungen billigend in Kauf, regelmäßig nicht aber schwere Wirbelbrüche und Bandscheibenschäden. In einem solchen Fall lässt sich für den Risikoausschluss auch nicht zwischen vorsätzlich verursachten leichteren und fahrlässig verursachten schweren trennen.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 27.5.2009 – 5 U 461/08
Sachverhalt
Der Kläger begehrt Deckung aus einer privaten Haftpflichtversicherung. Zusammen mit Begleitern, darunter der Zeugin C B, besuchte er ein Konzert der "Toten Hosen". Noch vor dessen Beginn während des Spiels einer Vorband soll er die Zeugin C B, der er zuvor gegen deren Widerspruch stage-diving angekündigt hatte, hochgehoben und nach vorne geworfen haben. Die Zeugin erlitt zwei Brüche an der Lendenwirbelsäule und Bandscheibenschäden.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „… Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch gem. §§ 1 Abs. 1 S. 1, 149 VVG a.F. i.V.m. §§ 1 Nr. I, 3 Nr. II AHB auf Ersatz der Leistung, die er auf Grund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eingetretene Tatsache der Zeugin B zu bewirken hat. Dies folgt daraus, dass die Beklagte nicht deshalb gem. § 152 VVG a.F. i.V.m. § 4 Nr. II. 1. S. 1 AHB leistungsfrei ist, weil der Kläger den Versicherungsfall (bedingt) vorsätzlich herbeigeführt hat. Danach sind von der Versicherung Ansprüche aller Personen, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben, ausgeschlossen.
1. Vorsatz ist wie auch ansonsten im Zivilrecht Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 27. Aufl., § 152 VVG, Rn 2 m.w.N.). Dabei genügt bedingter Vorsatz, d.h. der Versicherungsnehmer muss den Erfolg als möglich vorausgesehen und für den Fall seines Eintritts billigend in Kauf genommen haben, wenn auch nicht in allen Einzelheiten (vgl. BGH VersR 1958, 469; BGH VersR 1964, 916 … ). Er muss alle zum haftungsbegründenden Tatbestand gehörenden Umstände in seinen Willen aufnehmen und im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit handeln …
Darüber hinaus muss sich der Vorsatz jedenfalls im Geltungsbereich des § 4 AHB nicht nur auf die Schadensursache, sondern auch auf die Schadensfolge, hier also die Körperverletzung beziehen (vgl. BGH NJW 1971, 1456, 1457; Senat VersR 1993, 1004 … ). Der Schaden muss zwar nicht in allen Einzelheiten vorhergesehen werden … Jedoch dürfen die eingetretenen Verletzungen nach Art und Schwere nicht von den vorgestellten Verletzungen wesentlich abweichen (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1977, 745 … ). Es genügt, wenn der Versicherungsnehmer die Handlungsfolgen in groben Umrissen vorausgesehen hat. Er muss den Schaden jedoch nicht “auf Heller und Pfennig’ voraussehen (vgl. HG-VVG/Schimikowski, § 103 VVG Ziff. 7 AHB Rn 6) …
2. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen mindestens bedingten Vorsatzes trägt der Versicherer … Der Tatrichter hat sich gem. § 286 ZPO eine Überzeugung darüber zu bilden, ob der Nachweis geführt ist … Ein Anscheinsbeweis vorsätzlichen Handelns ist nicht gegeben, da es insoweit kein durch die Lebenserfahrung gesichertes typisches Verhalten gibt (vgl. BGH VersR 1988, 683, 684 … ). Es kommt daher immer darauf an, ob die Umstände des Einzelfalls die Annahme rechtfertigen, der Versicherungsnehmer habe die Schadenfolge zumindest billigend in Kauf genommen.
3. Auf Grund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger die konkret eingetretene Verletzung der Zeugin B vorsätzlich herbeigeführt hat.
Auf Grund der Aussagen der Zeugen C B, Y G, S C und T G steht fest, dass der Kläger bereits auf der Fahrt zu dem Konzert der “Toten Hosen’ und danach mehrfach angekündigt hat, die Zeugin B in die erste Reihe werfen zu wollen. Die Zeugin B hat dem Kläger gegenüber wiederholt erklärt, sie wolle dies nicht, da sie ein noch schmerzendes frisches Bauchnabelpiercing trage. Gleichwohl hat sich dann der Kläger innerhalb der Halle zu der Zeugin B umgedreht, sie an den Knien gepackt, hochgehoben und über seinen Kopf geworfen. Dadurch wurde die Zeugin über die Köpfe der anderen Konzertbesucher geschleudert, von diesen weggestoßen und fiel aus einer Höhe von ca. 2 m zu Boden. Zu diesem Zeitpunkt spielte eine Vorband, wobei die Halle noch nicht gefüllt war, sondern Lücken zwischen den Besuchern bestanden. Außerdem warf der Kläger die Zeugin in Richtung Bühne, auf die die Zuschauer blickten, sodass sie die Zeugin nicht sehen und sie gezielt auffangen konnten.
Diese Angaben der Zeugin C B haben die übrigen Zeugen im Kern bestätigt, wenngleich sich nicht mehr alle an jede Einzelheit erinnern konnten. Jedenfalls haben alle Zeugen gesehen, dass der Kläger die Zeugin B hochgehoben hat und sie dann auf den Boden gefallen ist. Hinzu kommt, dass die Zeugen bei ihrer Vernehmung im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren den von der Zeugin B geschilderten Hergang übereinstimmend in allen Einzelheiten bestätigt h...