Prof. Dr. Roland Rixecker
VVG §§ 30, 28; MB/KT § 4
Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für den Zugang der Anzeige des Versicherungsfalls.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Celle, Urt. v. 10.6.2010 – 8 U 18/10
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Krankentagegeld wegen eines behaupteten Arbeitsunfalls vom 25.3.2008 in Anspruch. Der Beklagte hat die beantragte Leistung unter Hinweis darauf, erstmals im September 2008 Kenntnis von dem Vorgang erhalten zu haben, verweigert.
Aus den Gründen:
“Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg; der geltend gemachte Anspruch auf Krankentagegeld steht dem Kläger nicht zu.
Der Beklagte stützt seine Leistungsfreiheit auf eine Obliegenheitsverletzung des Klägers gem. §§ 9, 10 MB/KT. Nach § 9 Abs. 1 MB/KT ist die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit dem Versicherer unverzüglich, spätestens aber innerhalb der im Tarif festgelegten Frist, durch Vorlage eines Nachweises anzuzeigen. Nach § 10 Abs. 1 MB/KT ist der Versicherer mit den vorgesehenen Einschränkungen ganz oder teilweise von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn eine der in § 9 Abs. 1 bis 6 MB/KT genannten Obliegenheiten verletzt wird.
Dabei gehen beide Parteien durchaus zutreffend davon aus, dass die Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung bei dem Beklagten als Versicherer liegt. Dies entspricht im Grundsatz allgemeiner Meinung (vgl. nur BGH, NJW 1989, 2016). Diesen Grundsatz stellt auch der Senat nicht infrage. Es geht lediglich um dessen Reichweite.
Es ist die Auffassung vertreten worden, eine Ausnahme von der Beweislast des Versicherers für den objektiven Tatbestand einer vom Versicherungsnehmer begangenen Obliegenheitsverletzung sei anzunehmen, wenn dem Versicherungsnehmer ein ganz bestimmtes Tun auferlegt sei, wie etwa das Absenden einer Schadenmeldung (vgl. Nw. bei Römer, in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., Rn 108 ff. zu § 6, sowie Rn 22 zu § 33, der selbst dieser Meinung aber nicht folgt).
Nach allg. zivilrechtlichen Grundsätzen hat nicht nur das Absenden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung bzw. einer geschäftsähnlichen Handlung, sondern auch deren Zugang der Absender zu beweisen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Dieser Grundsatz dürfte als allg. zu gelten haben. Er gilt auch dort, wo ‘strukturelle Ungleichgewichte’ Abweichungen vom Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht nur ermöglichen, sondern sogar rechtfertigen, und sogar im Verhältnis des Bürgers zum Staat, selbst im Bereich der Daseinsvorsorge. Wer als Hilfesuchender den Zugang seines Sozialhilfeantrags bei der zuständigen Behörde nicht beweisen kann, hat – von den Fällen der praktisch wohl wenig bedeutsamen Kenntnis des zuständigen Sozialhilfeträgers aus anderem Grund einmal abgesehen – das Nachsehen (s. § 130 Abs. 3 BGB). Nun fragt sich, warum dies gerade im Versicherungsrecht in einem Fall wie dem vorliegenden anders sein soll (geht es um die Pflichten des Versicherers, etwa bei § 39 VVG a.F., gelten ohnehin die allgemeinen Regeln). Dies auch vor einem weiteren Hintergrund. Der Versicherer hat nämlich keine Möglichkeit, den nicht erfolgten Zugang zu beweisen. Für das nicht erfolgte Absenden mag man noch – im Sinne einer sekundären Darlegungslast – vorrangig Vortrag des Absenders verlangen. Für den Zugang aber verhält es sich so, dass der Absender ihn sicherstellen und damit beweisen könnte, der Versicherer aber keine entsprechende Möglichkeit hat. Das Beweisangebot des Beklagten geht vorliegend ins Leere. Mit der Benennung des Sachbearbeiters kann der Beklagte nur beweisen, dass diesem ein Schreiben nicht bekannt ist und es sich auch nicht bei den Akten befindet. Darauf aber kommt es für die Frage des Zugangs nicht an. Selbst wenn der Sachbearbeiter dies bestätigen kann, ist der fehlende Zugang nicht bewiesen. Das Schreiben kann, nachdem es in den Herrschaftsbereich des Beklagten gelangt ist, versehentlich vernichtet oder einer anderen Akte zugeordnet worden sein.
Der BFH, der für den Nachweis des Zugangs bis 1989 eine andere Auffassung vertreten hat, dass nämlich ein Anscheinsbeweis für den Zugang streite, hat seine Auffassung geändert und ist gleichfalls zu den allgemeinen Regeln zurückgekehrt (NVwZ 1990, 303).
Geht es wie hier um die initiale Schadenanzeige (und damit kaum darum, den Fortbestand des Anspruchs auf die Versicherungsleistung von einem bestimmten Verhalten des Versicherungsnehmers abhängig zu machen, wie es für die Obliegenheit typisch ist, s a. Wandt, Versicherungsrecht, 5. Aufl., Rn 538), hat der Versicherer auch keine Möglichkeit nachzufragen. Das nach dem Versicherungsfall beginnende Verfahren muss vom Versicherungsnehmer, um dessen Interesse es in diesem Stadium des Verfahrens allein geht, in Gang gesetzt werden. Wer den Zugang nicht sicherstellt, ist trotzdem ausreichend geschützt. Eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung liegt darin nicht. Allerdings ist zu verlangen, dass nach einiger Zeit der Versicherungsnehmer nachfragt, wenn er vom Versicherer nichts hört, dies dann, we...