Die Frage, welches materielle Schadensersatzrecht zur Geltung kommt, richtet sich danach, ob jeweils die Rom II Verordnung oder das Haager Übereinkommen zur Anwendung gelangt. Die Rom II Verordnung gilt zwar mit Wirkung seit dem 11.1.2009 gem. Art. 32 Rom II zwischen allen Mitgliedstaaten der EU unmittelbar und damit auch in Deutschland und Polen. Zugleich sieht sie in Art. 28 Rom II vor, dass das Haager Übereinkommen gegenüber dieser Verordnung vorrangig ist. Da Polen dem Haager Übereinkommen beigetreten ist, findet dieses Übereinkommen bei einer Klage in Polen Anwendung. Entscheidet sich der Geschädigte dagegen für eine Direktklage gegen den ausländischen Versicherer in Deutschland, welches dem Haager Übereinkommen nicht beigetreten ist, gilt hier allein die Rom II Verordnung. Dies kann in Ausnahmefällen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Bestimmung des anzuwendenden Rechts führen.
Beispiel
Ein deutscher Staatsbürger erleidet als Insasse eines polnischen Reisebusses in Wien einen Verkehrsunfall. Der der Reise zugrunde liegende Beförderungsvertrag wurde in Deutschland geschlossen. Gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II wäre bei einer Klage in Deutschland zwar grundsätzlich polnisches materielles Recht anzuwenden. Da der Beförderungsvertrag jedoch in Deutschland abgeschlossen worden ist und er daher unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes dem deutschen Recht unterliegt, greift die Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 3 Rom II ein und es gilt aufgrund dieser engen Verbindung deutsches Recht.
Fehlt es an einer derartigen engen Verbindung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom II, kann immer noch die Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 2 Rom II eingreifen: Haben die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so unterliegt die unerlaubte Handlung nach Art. 4 Abs. 2 Rom II dem Recht dieses Staates.
Das HÜ sieht dagegen in Art. 3 vor, dass das Recht des Staats zur Anwendung gelangt, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat (Tatortprinzip). Anders als nach Art. 4 Abs. 1 Rom II ist mithin das Ereignis und der Eintritt des Primärschadens maßgeblich. Das HÜ kennt die in den Art. 4 Abs. 2 und 3 Rom II dargelegten Ausnahmen nicht. Vielmehr richten sich die Ausnahmeregelungen des HÜ bei Eingreifen bestimmter Voraussetzungen nach dem Recht des Zulassungsstaates. Je nachdem, ob eine der in Art. 4 Rom II oder den Art. 4, 5 HÜ geregelten Ausnahmen eingreift, kann im Ergebnis mithin jeweils ein anderes materielles Recht anzuwenden sein, wobei in jedem Fall die örtlichen Sicherheitsvorschriften maßgeblich bleiben.
Beispiel
Ein deutscher Staatsbürger wird mit seinem Fahrzeug in Poznan in einen Verkehrsunfall mit einem polnischen Staatsbürger verwickelt, der seinen ständigen Wohnsitz zum Zeitpunkt des Unfalls aufgrund seiner Arbeit für einen mehrjährigen Zeitraum in Berlin hat. Der gemeinsame Wohnsitz in Deutschland begründet die Anwendbarkeit des deutschen sachlichen Rechts, wenn in Deutschland Klage erhoben wird und Rom II zur Geltung kommt. Wird dagegen in Polen – sei es am Unfallort oder dem Sitz des Unfallgegners bzw. der Versicherung – Klage erhoben, gilt das HÜ und es bleibt gem. dem Tatortprinzip bei der Anwendung des materiellen polnischen Rechts. Da beide Rechtsordnungen teilweise erhebliche Unterschiede bei der Erstattung des entstandenen Schadens aufweisen, ist auf Seiten des Geschädigten genau zu prüfen, welches Vorgehen ihm bessere Erfolgsaussichten bietet. Die gleiche Bewertung ist auf Seiten der Haftpflichtversicherung der anderen Unfallpartei vorzunehmen, um die Möglichkeiten einer ggf. vorteilhaften Vereinbarung über die Anwendung sachlichen Rechts auszuloten.