VVG § 22; BGB § 123 § 242; AGG § 19 § 20
Leitsatz
1. Auch bei unstreitigen Vorerkrankungen muss geklärt werden, ob ihre Verwendung im Rechtsstreit wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.
2. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geht nicht auf die Erben seines Inhabers über.
3. Auch unter der Geltung des AGG obliegt es der Prüfung des VR, wie er eine Behinderung des VN bei Abschluss einer Personenversicherung mit Blick auf das Risiko bewertet.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 25.5.2011 – IV ZR 191/09
Sachverhalt
Die Kl. fordert als Bezugsberechtigte einer von ihrem Ehemann im November 2003 für die Dauer von fünf Jahren abgeschlossenen Risikolebensversicherung die Todesfallleistung in Höhe von 100.000 EUR. Der VN starb am 21.11.2007 an den Folgen eines metastasierenden Melanoms. Er hatte bei Antragstellung im Oktober 2003 die jeweils auf die letzten fünf Jahre vor Antragstellung zielenden falsch beantwortet, indem er eine seit 1996 bestehende, dauerhaft mit Immunsuppressiva behandelte Erkrankung an Morbus Crohn verschwiegen hatte. Der VN hatte bei Antragstellung ferner nachfolgende "Schlusserklärung des Antragstellers und der zu versichernden Person" unterzeichnet:
"[ … ] Ich ermächtige [die Bekl.] zur Nachprüfung und Verwertung der von mir über meine Gesundheitsverhältnisse gemachten Angaben alle Ärzte, Krankenhäuser und sonstigen Krankenanstalten sowie Pflegeeinrichtungen, bei denen ich in Behandlung oder Pflege war oder sein werde, [ … ] über meine Gesundheitsverhältnisse bei Vertragsabschluss zu befragen. Dies gilt für die Zeit vor der Antragsannahme und die nächsten drei Jahre [ … ] nach der Antragsannahme. Die [Bekl.] darf auch die Ärzte, die die Todesursachen feststellen, die Ärzte die mich im letzten Jahr vor meinem Tode untersuchen oder behandeln werden, sowie Behörden – mit Ausnahme von Sozialversicherungsträgern – über die Todesursachen oder die Krankheiten, die zum Tode geführt haben, befragen. [ … ]"
Die Morbus-Crohn-Erkrankung hatte unstreitig nicht zum Tode geführt. Die Bekl. stieß erstmals darauf, nachdem sie die zuletzt behandelnde Ärztin mittels eines Vordrucks um ein "Ärztliches Zeugnis im Todesfall" ersucht und die Ärztin im Rahmen der darin verlangten "Ausführlichen Anamnese" auch Erkenntnisse über (im Vordruck ausdrücklich erfragte) frühere Krankheiten des Verstorbenen mitgeteilt hatte.
Mit Schreiben v. 19.2.2008 erklärte die Bekl. die Anfechtung ihrer Vertragsannahme wegen arglistiger Täuschung.
2 Aus den Gründen:
“ … 1. Soweit der Fall grds. Fragen zu den Rechtsfolgen einer ohne ausreichende Ermittlungsermächtigung und Schweigepflichtentbindung gewonnenen Kenntnis des PersonenVR über vom VN bei Vertragsschluss verschwiegene Vorerkrankungen berührt, sind diese durch das Senatsurt. v. 28.10.2009 (VersR 2010, 97) hinreichend geklärt.
a) Sachlich-rechtlich geht es darum, ob der VR infolge einer Datenerhebung ohne ausreichende Rechtsgrundlage nach § 242 BGB gehindert ist, sich auf die Ergebnisse seiner Ermittlungen zu berufen und insb. von dem Gestaltungsrecht der Arglistanfechtung nach § 123 BGB Gebrauch zu machen (Senat, a.a.O., Rn 19–21). Dafür spielt es keine Rolle, ob diese Ermittlungsergebnisse des VR im Rechtsstreit noch streitig sind. Vielmehr ist – auch im Falle unstreitig verschwiegener Vorerkrankungen – allein zu klären, ob ihre Verwendung sich bei der Ausübung von Gestaltungsrechten wie Rücktritt oder Anfechtung als unzulässige Rechtsausübung darstellt, wobei der Einwand aus § 242 BGB keine Einrede, sondern einen von Amts wegen zu beachtenden Umstand darstellt …
Dabei führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Insb. wenn sich ein zielgerichtet treuwidriges Verhalten nicht feststellen lässt, muss durch eine umfassende Abwägung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalles entschieden werden, ob und inwieweit einem Beteiligten die Ausübung einer Rechtsposition verwehrt sein soll. Dies muss umso mehr gelten, wenn beiden Seiten ein Rechtsverstoß zur Last fällt (vgl. Senat, a.a.O., m.w.N.).
b) Übertragen auf den hier gegebenen Fall bedeutet dies:
aa) Das BG hat die oben zitierte “Schlusserklärung‘ ohne Rechtsfehler dahin ausgelegt, dass ihr eine Befugnis des VR, noch nach Ablauf des Monats Oktober 2006 Ärzte zu Erkrankungen des VN aus der Zeit bei Vertragsschluss (1.11.2003) zu befragen, nicht entnommen werden kann und auch keine korrespondierende Schweigepflichtsentbindung vorlag. Spätere Befragungen durften nur noch auf todesursächliche Erkrankungen zielen. Der der zuletzt behandelnden Ärztin Anfang 2008 zugesandte Fragebogen für das “Ärztliche Zeugnis im Todesfall‘ steht mit dem Verlangen nach einer “ausführlichen Anamnese‘ dazu im Widerspruch. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Ärztin auf anderer Grundlage befragt worden wäre.
bb) Wenngleich demnach die zeitlich begrenzte Ermittlungsermächtigung mit Schweigepflichtsentbindung für sich genommen nich...