ZPO § 115 Abs. 1 Nr. 1a; SGB XII § 82
Leitsatz
1. Werden im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe die berufsbedingten Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. a der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII ermittelt, ist die Begrenzung des Fahrtkostenabzugs auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilometern nicht anzuwenden.
2. Die Pauschale von monatlich 5,20 EUR je Entfernungskilometer deckt nur die Betriebskosten einschließlich Steuern ab. Zusätzlich sind konkret nachgewiesene Anschaffungskosten eines für den Weg zur Arbeit erforderlichen Fahrzeugs als besondere Belastung i.S.d. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen.
BGH, Beschl. v. 8.8.2012 – XII ZB 291/11
Sachverhalt
Das AG B – FamG – hatte dem AG in dem Verfahren betreffend Kindesunterhalt Verfahrenskostenhilfe (VKH) unter Anordnung von Ratenzahlungen bewilligt. Von dem für die Führung des Verfahrens einzusetzenden Einkommen hat das FamG Fahrtkosten für den Weg zur 110 km entfernten Arbeitsstätte i.H.v. 916 EUR monatlich abgesetzt. Diesen Betrag hat das FamG auf der Grundlage von arbeitstäglich je 0,30 EUR für die ersten 30 km und je 0,20 EUR für die weitere Wegstrecke ermittelt. Die ferner von dem AG geltend gemachte monatliche Belastung i.H.v. 115,91 EUR aus dem für die Anschaffung des Pkw aufgenommenen Darlehen hat das FamG nicht zusätzlich abgesetzt. Mit seiner hiergegen eingelegten Beschwerde hatte sich der AG gegen die Absetzung dieser Darlehensaufwendungen gewandt. In Übereinstimmung mit dem Bezirksrevisor hat das OLG B zugunsten des AG ein geringeres Einkommen sowie höhere Heizkosten und eine Teilkaskoversicherung berücksichtigt. Die Fahrtkosten zur Arbeitsstätte hat das OLG – wie das FamG – mit monatlich 916 EUR abgesetzt. Der Bezirksrevisor hatte demgegenüber nur 5,20 EUR monatlich für je 110 km einfache Wegstrecke für gerechtfertigt gehalten. Die gegen den Fahrtkostenabzug gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatskasse hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[8] "… a) Gem. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO hat ein Beteiligter, der um VKH nachsucht, sein Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert."
[9] Die Definition des Einkommensbegriffs in § 115 ZPO stimmt wörtlich mit der einleitenden Begriffsbestimmung des § 82 Abs. 1 SGB XII überein. Auch hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge wird in § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf § 82 Abs. 2 SGB XII verwiesen. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO an denjenigen des Sozialhilferechts anknüpft. Dies erklärt sich daraus, dass Prozesskostenhilfe (PKH) eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt (vgl. BVerfGE 35, 348 = NJW 1974, 229, 230; Senatsbeschl. FamRZ 2005, 605).
[10] b) Wie der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall bereits entschieden hat (RVGreport 2012, 359 [Hansens] = AGS 2012, 473), können die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien zum Ausdruck kommenden familienrechtlichen Grundsätze nicht unbesehen auf den sozialrechtlichen Einkommensbegriff übertragen werden, da das Unterhaltsrecht auf den Einkommensbegriff des BGB abstellt.
[11] Hingegen ist es grds. nicht zu beanstanden, wenn die Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2a der VO zur Durchführung des § 82 SGB XII (im Folgenden: DVO) ermittelt werden. Hiernach können – sofern keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind – pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte monatlich 5,20 EUR abgesetzt werden (Senatsbeschl. RVGreport 2012, 359).
[12] c) Entgegen einer in Rspr. und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2008, 158; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 799; OLGR Stuttgart 2008, 36; MüKo-ZPO/Motzer 3. Aufl. § 115 Rn 28) ist allerdings die in § 3 Abs. 6 Nr. 2a DVO weiter enthaltene Begrenzung des Fahrtkostenabzugs auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilometern bei der PKH und VKH nicht anzuwenden. Vielmehr ist grds. auch für darüber hinausgehende Strecken der Pauschbetrag von 5,20 EUR je km abzusetzen.
[13] Die im Sozialhilferecht verankerte Beschränkung auf maximal 40 Entfernungskilometer Wegstrecke zur Arbeit findet ihre Rechtfertigung darin, dass einem Beschäftigten, der mehr als 40 km von der Arbeitsstätte entfernt wohnt, grds. angesonnen werden kann, eine näher zur Arbeitsstätte gelegene Wohnung zu nehmen und dadurch unnötige Fahrtaufwendungen zu ersparen. Kommt er dem nicht nach, fallen ihm die Mehraufwendungen selbst zur Last.
[14] Anders liegt der Fall bei der Gewährung einer punktuellen Unterstützung wie der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe (vgl. bereits OLG Dresden FamRZ 2011, 911, 912). Im Hinblick darauf wäre es unverhältnismäßig, einem Beschäftigten, der die über 40 Entfernungskilometer hinausgehenden Fahrtaufwendungen bereits auf Kosten seines Lebensunterhalts auf sich nimmt, diesen Abzug bei der Berechnung seiner Bedürftigkeit im Rahmen der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe zu verwehren. Ein Verlangen, anlässlich der anstehenden Prozess- oder Verfahrensführung eine näher zur A...